Erwin Stresemann
Aus den Tagebüchern der II. Freiburger Molukken-Expedition 1910-11

Zusammengestellt und bearbeitet von Andus Emge 2010

LESEPROBE:

Von Singapur nach Bali
(6. November 1910 - 13. Januar 1911)
Man hatte uns aus Hamburg telegraphiert, daß unsere "Freiburg" am 27. Oktober an Deck eines Frachtdampfers der Hapag in Singapur eintreffen werde. Deshalb beendete ich meine Streifzüge bei Tapah am 5. November und fuhr mit der Bahn zurück nach Singapore, um dort nach dem "Naturforscherschiff" auszuschauen, zwei Tage später folgten meine Gefährten. Da lag unser Boot wahrhaftig in einem kleinen Hafenbecken. Entzückt schrieb Deninger Mitte November nach Hause: "Der erste Anblick zeigte uns schon, daß der Schiffsrumpf außerordentlich gefällig geraten war, und je mehr wir uns das Boot von außen und innen besahen, desto mehr gefiel es uns". Zu unserem Schreck hatte man es aber so unvorsichtig zu Wasser gelassen, daß sich die eine Außenwand am Hapagdampfer gescheuert und daher an einigen Stellen ihren Anstrich eingebüßt hatte, der den aus vernieteten Stahlplatten gefertigten Rumpf vor dem Seewasser schützen sollte. Es half nichts, der hellgraue Anstrich mußte schleunigst in einem Trockendock erneuert werden. Eine solche Einrichtung gab es aber in Singapore nur für große Ozeanschiffe, nicht für eine Nußschale wie die unsrige. So kam es, daß uns diese Reparatur im Großdock, die in einem Tage geschehen war, nicht weniger als 3000 mexikanische Dollar (über 1500 Mark) kostete. Tauern, der alles übernommen hatte, was mit Technik zusammenhing, ließ sich dazu bereden, bei dieser Gelegenheit auch den hohen eisernen, unbeweglich angeschweißten Kiel der "Freiburg" abzumontieren, um die Gefahr eines Aufpralls auf Korallenriffe zu vermindern, und war in den folgenden Tagen unablässig an Bord beschäftigt. Auf einer Werft mußte der Großmast montiert, in die Kajüte mußten noch Schränke eingebaut werden. Auch vieles andere hatte noch zu geschehen. Aber am 13. November war alles schon so weit, daß wir in dem riesigen Hafenbecken eine Probefahrt machen konnten. Stolz umherblickend hatten wir schon ein paar Seemeilen glatt bewältigt, als plötzlich der Motor abstarb. Eine große Barkasse der Hafenpolizei bemerkte bald unsere mißliche Lage und schleppte die "Freiburg" wieder in unseren Pier zurück, wo ein herbeigerufener Werftingenieur die Ursache des Mißgeschicks gleich aufklärte. Tauern hatte unserem Motor ungereinigtes, schwarzes Erdöl eingeflößt, wozu ihn die Bezeichnung "Rohöl-Motor" verleitet hatte. Das war diesem aber sehr schlecht bekommen; er mußte nun erst in tagelanger Monteurarbeit auseinander genommen und gesäubert werden, bis er, mit einem viel teueren Destillationsprodukt gespeist, wieder auf vollen Touren lief. Diese Pannen gaben mir und Deninger reichlich Zeit zu einer Umschau in der Stadt und ihrer Umgebung.
Inzwischen hatten wir alles, was mitzunehmen war, in den Laderaum schaffen lassen; viele große Säcke mit Reis oder mit Bohnen gefüllt, Weinflaschen, Zuckersäcke, ein Stapel Konservenbüchsen aus deutschen Heeresbeständen, Kleiderkoffer aus starkem Blech, unsere Zeltplanen und Hängematten, ein Haufen Baumwolldecken für die Träger in den Molukken, die Gewehre, Buschmesser, Munitionskisten, Pulverkanister, schwere Fallen für Wild und große Vögel, Netze, Tauschartikel, die kinemato- und photographische Ausrüstung, die Apotheke und was wir sonst noch für wichtig hielten. Vor dieser Fracht blieb gerade noch ein wenig Platz für die Unterkunft der drei Malayen, die wir für die weite Reise nach Buru durch Vermittlung unseres Hotelportiers gedungen hatten. Einer von ihnen hieß Siddin, er war ein älterer Mann, der schon Erfahrungen zur See hatte, denn er war einmal als Kohlentrimmer bis nach Liverpool gekommen; daher schien er uns sehr geeignet für die Aufgabe, die Segel zu bedienen. Auf Deck hatten wir zwei große, schon benutzte Weinfässer als Trinkwasserbehälter montiert, und zudem lag dort noch ein kleines Beiboot, worin im äußersten Notfall 4 Mann hätten sitzen können.
Am Nachmittag des 24. November waren wir startbereit. Eine Gruppe junger Deutscher, die wir in der Stadt kennen gelernt hatten, und viele Neugierige hatten sich am Pier versammelt. Wir hißten stolz am Heck die Fahne Schwarz-Weiß-Rot, Siddin löste die Haltetaue, Tauern warf mit voller Leibeskraft das große schwere Schwungrad an, worauf der Motor gehorsam zu rattern begann, Deninger blies ein fröhliches Reitersignal auf seiner Dragonertrompete - und die Freiburg "stach in See". Ein maliziöser Skeptiker rief uns noch nach "Auf baldiges Wiedersehen" - aber dieses Vergnügen haben wir ihm nicht bereitet.
Zunächst ging alles nach Wunsch. Die Sonne versank im Meer, und ringsum sahen wir bald Leuchtfeuer strahlen und blinken, denn vor uns lag nun die Durian-Straße, bespickt mit Inselchen und Untiefen.
Es war eine vergnügliche Aufgabe, diese Warn- und Richtungszeichen nach unserer ersten Seekarte zu bestimmen und dann den vorgeschriebenen Kurs zu steuern. Wir hatten solcher Seekarten eine Menge an Bord; an ihrer sicheren Hand hätten wir bis nach Polynesien gelangen können. auch ein zweiter Helfer war zur Stelle, das dickleibige "Segelhandbuch für den Indischen Ozean", das dem Seemann unseres Schlages genaue Auskunft über Meeresströmungen, Zeiten der Monsune und Kalmen, über Ankergründe, Häfen und manches andere bis nach Australien hin erteilt.
Der Borddienst war streng geregelt. Jeder von uns Dreien hatte täglich 6 Stunden lang dienst am Steuer und 18 Stunden frei, die er nach Gutdünken ausfüllen durfte; diese Bestimmung betraf auch unsere drei Malayen, von denen einer die Segelkommandos auszuführen hatte und täglich 6 Stunden lang auf Deck sein mußte.
Unser Steuerrad stand hinter dem Großmast, daneben der große Schiffskompaß und ein Kartentischlein, und über alledem schwebte eine Petroleumlampe. Die Takelage war die eines Kutters, aber vereinfacht: nur Großsegel (ohne Toppsegel) und ein am Bugspriet befestigtes Vorsegel. Der Bootsbauer mochte gemeint haben, daß diese Segelfläche für ein Motorschiff durchaus genüge und nur gelegentlich zur Erhöhung der Fahrtgeschwindigkeit benutzt werden würde. So dachten wir auch.
Als es wieder hell geworden war, erblickten wir in der Ferne zu unserer Rechten die langgestreckte, flache Ostküste von Sumatra. Die ganze Nacht hindurch hatte der Motor tadellos funktioniert, und er tat es noch immer. Eine sanfte Brise begleitete uns. Da wir 6 Knoten fuhren, überholten wir bald drei chinesische Dschunken, die, höchst malerisch mit drei rechteckigen Mattensegeln aufgetakelt, unseren Kurs fuhren, und winkten ihnen dabei spöttisch zu.
Aber Hochmut kommt vor dem Fall. Es war gegen 11 Uhr, da wurde plötzlich der Takt unseres Motors langsamer, und kaum war Tauern voller Schrecken in den Motorraum gesprungen, da blieb unser Herzstück stehen. Alle Anstrengungen, das große Schwungrad mit vereinter Kraft zu bewegen, blieben erfolglos. Sein Achsenlager war glühend heiß, es war geschmolzen!
Da trieben wir nun hilflos in dem trüben Wasser! So weit wir auch in der Runde blickten, kein Land zu sehen. Unser Lot stieß in 15 m Tiefe auf Grund, und dabei zeigte sich, daß wir von einer starken Strömung rückwärts getrieben wurden. Dagegen half nur noch eins, den Anker werfen und bis zum Umschlagen der Tide warten, falls uns nicht ein günstiger Wind die Segel füllen sollte. Diese hatten wir gleich nach dem Tode des Motors hoffnungsvoll gehißt. Tauern gefiel es nun nicht, daß wir kein Klüversegel hatten; als "Fachmann" riet er daher, vorn einen langen Klüverbaum herauszustecken und an ihm das Vorsegel zu befestigen. Das geschah, indem wir einige Latten zusammenbanden, die im Laderaum nutzlos herumlagen.
Es war bei wolkenlosem Himmel auf Deck und unter Deck glutheiß geworden, und der sanfte Zephir, der die drei Dschunken zu unserer Beschämung um Mittag an uns vorübertrieb, brachte uns keine Erfrischung. Nach ein paar Stunden ließen wir das Senkblei abermals hinab, und siehe da, die Strömung war umgeschlagen! Wir lichteten rasch den Anker und ließen uns nun südwärts treiben, bis der Gegenstrom wieder einsetzte. So verfuhren wir zwei Tage und zwei Nächte lang. Mit dieser Taktik kamen wir immerhin ohne unser Zutun etwas vorwärts. An den Mittagen stellte Tauern unsere Position mit dem Theodoliten fest. Wir befanden uns jetzt genau unter dem Äquator, aber zu einer übermütigen Äquatortaufe waren wir gar nicht aufgelegt, obgleich es nicht leicht war, uns sonstwie die Zeit zu vertreiben. Ab und zu sangen unsere Boys malaiische Lieder; dann trieben auch wir Musik, indem wir die bespielten Walzen unseres Phonographen in Betrieb setzten und uns an den neuesten Berliner Schlagern berauschten, wie "Es war in Schöneberg, im Monat Mai" oder "Da geh ich ins Maxim, da bin ich so intim". Oder einer sprang in die warme braune Brühe, die uns umgab, und prahlte mit seinen Tauchkünsten, dabei immer die prickelnde Angst vor Haien im Nacken. Nachts suchten wir die Stellung der Gestirne uns einzuprägen und die fremdartigen Sternbilder des Südhimmels zu deuten. Ich spähte nach Getier aus, aber das ließ sich nur sehr spärlich blicken. Dann und wann erschien, die Nähe von Land zeigend, ein Fregattvogel, der hoch droben seine weiten Kreise zog; auf treibendem Holz sah ich manchmal eine kleine Gruppe von Seeschwalben (Sterna sumatrana und Sterna bergii) rasten, und einmal umkreiste ein weißbäuchiger Sturmtaucher unser Schiff. Oft warf ich die Angel aus, aber über dem in geringer Tiefe ausgebreiteten Schlammboden biß nur selten ein Fisch an. Aber wenn ich nachts die Lampe über den Meeresspiegel hing, schwammen viele Fische mir unbekannter Arten herbei, und zuweilen näherten sich träge, gleichfalls durch das Licht angelockt, Loligo-ähnliche Tintenfische. Wenn wir langsam vor dem Winde dahinsegelten, glitten wir dann und wann an einer Seeschlange vorüber, die sich in der prallen Sonne unbeweglich von der Strömung treiben ließ, den Leib in lose Windungen gelegt. Aber allemal, wenn ich den Käscher an sie heranführte, tauchten die Schlangen blitzschnell in die Tiefe. Sie waren am ganzen Körper schwarz und gelbbraun geringelt und gehörten wahrscheinlich zu der sehr giftigen Art Hydrophis pictus.
Wir waren längst in einen flachen Meeresteil geraten, den die Dampfer umfuhren; nur ein einziges Mal sahen wir eine Rauchfahne über dem fernen Horizont. Endlich, am 27. November, kam Land in Sicht. Zur Linken lugte die Spitze eines Bergkegels aus dem Meer. Wir hatten uns der Insel Singkep genähert! Und in der folgenden Nacht trieb uns die Strömung im Bunde mit einer sanften Brise ganz in die Nähe dreier kleiner Inseln, der Allang Tia (0.30'S, 104°E). Jetzt konnte unser Beiboot in Aktion treten. Mit Deninger ruderte ich für einige Stunden zur nördlichsten Insel hinüber. Wir fanden sie unbewohnt und auf kristallinem Gestein ganz mit unberührtem Urwald bedeckt, in dem uns prächtige Pandanaceen und der Reichtum an großen Bäumen voller Wildfrüchte auffielen. Hier gab es fruchtfressende Tauben in Menge, grüne Treron, schneeweiße schwarzflüglige Myrlicivora biist und vor allem die prächtig schillernde Mähnentaube, Caloenas nicobarica. Aber Wasser fanden wir nicht. Nicht besser trafen es damit Deninger und Tauern, die am nächsten Tage dort danach suchten. Denn nach Wasser verlangte es uns sehr. Auf Deck in alten Fässern verwahrt, war unser Vorrat in der Sonnenglut nach wenigen Tagen faulig geworden und taugte kaum noch zum Reiskochen. Unseren Durst löschten wir daher fast nur noch mit einem Schluck Rotwein.
An diesem 28. November hatte ich "Steuerdienst" von Sonnenuntergang bis Mitternacht. Eine kräftige Brise war aufgekommen und hatte uns eine Weile gut vorangebracht. Aber bei Anbruch der Nacht wurde es wieder ganz windstill und dabei so schwül, daß mir im leichten Pyjama der Schweiß aus allen Poren rann. Dort, wo Sumatra liegen mußte, wetterleuchtete es schon. Die glitzernden Sterne erloschen, es wurde schnell stockfinster, ringsum fuhren grelleuchtende Blitze mit ohrenbetäubendem Donnergetöse ins Meer, und mit Schrecken sah ich über die spiegelglatte See einen langen Streifen weißen Schaums heranrasen. Im nächsten Augenblick gab es einen scharfen Ruck, beinahe wäre die Freiburg gekentert, vorn krachte es, und im Nu tanzte das Schifflein mit wild flatterndem Großsegel auf schäumenden Wogen, die von der Wut des Orkans bald über das Deck gepeitscht wurden und sich immer höher türmten. Um nicht über Bord gespült zu werden, warf ich mich nieder und klammerte mich mit Händen und Füßen an das, was ich in der Finsternis ertastete. Im Schutz des Großmastes machte ich eine Atempause; dann kroch ich auf dem Bauche nach vorn, denn was hatte wohl der Krach bedeutet? Ein naher Blitz zeigte mir, daß da schon Deninger und Tauern herumkrochen. Sie schrien mir zu: "Der Klüverbaum ist zersplittert und hat das Segel mitgenommen, es hängt aber noch draußen am Schiff".
Bisher hatte es nur in schweren Tropfen geregnet, nun aber ergoß sich über uns ein Wolkenbruch, der allmählich die Gewalt des Orkans brach und die tobende See besänftigte. Nach einer Weile gelang es uns, das Klüversegel mit seiner Schott aus den hochgehenden Wogen zu fischen. Mehr konnten wir vorläufig nicht tun. Auch mit dem Segeln war's also nun vorbei! In tiefer Resignation zogen wir uns in die Kabine zurück, warfen die triefend nassen Pyjamas in eine Ecke und legten uns alle Drei wortlos aufs Ohr.
Vor Morgengrauen erwachten wir wieder. Wohin mochte uns der Sturm, von dem nichts mehr zu spüren war, wohl getrieben haben? Nun wußten wir gar nicht mehr, wo wir waren, und hatten kein genießbares Trinkwasser mehr! Aber oh Wunder: als es hell wurde, sahen wir nicht weit uns eine kleine, dicht bewaldete Insel! Waren wir gerettet? Die Meeresströmung schob uns noch etwas näher heran; dann warfen wir den Anker, und wie schon vor den Alang-Tiga entschied das Los, wer an Bord bleiben und wer im Beiboot an Land gehen sollte. Deninger wurde es, der mit mir dieser Insel der Verheißung entgegenruderte. als wir näher kamen, öffnete sich vor unseren staunenden Augen eine kleine Bucht, und an ihrem Grunde sahen wir ein Boot liegen. Die Insel war also bewohnt! Sodann erblickten wir eine breite schnurgerade Lichtung in einem Hain von Kokospalmen, die auf ein Haus zuführte. Man hatte uns schon bemerkt, und nun strömte die ganze Einwohnerschaft des Eilands an den Strand: drei Männer und zwei Frauen!
Der erste, der uns willkommen hieß, als wir an Land gesprungen waren, war das Familienoberhaupt, ein freundlicher Araber, der sich hier auf einer Rodung des üppigen Urwaldes eine Kokosnußplanzung angelegt hatte. Von ihm erfuhren wir alsbald, daß dies die Insel Serak sei (0°40'S, 104°15'E), 8 Seemeilen von Singkep entfernt. Rasch kam eine lebhafte Unterhaltung in Fluß, denn für ihn und die Seinen war diese Begegnung ebenso sensationell wie für uns. Nur alle sechs Monate, wenn ein kleiner Dampfer kam, um die Kopra abzuholen, hatten diese Leutchen bisher jahrelang eine flüchtige Verbindung mit der Welt gehabt. Wir erzählten, warum wir gekommen seien: Wasser brauchten wir, und ein schlankes gerades Baumstämmchen für das Segel. Ja, Zisternenwasser habe er in Fülle, und solche Bäumchen gäbe es hier genug; sein großer Sohn werde uns bald eines herbeischaffen. Wir wurden sogar zum Essen eingeladen! Über alledem vergingen rasch die Stunden; wir mußten nun vor Dunkelwerden zurück zur Freiburg. Unsere Freunde baten, sich allesamt unser Schiff ansehen zu dürfen und an Bord Medizin für den einen von ihnen zu empfangen, der sich vor einigen Tagen mit dem Haumesser eine tiefe, nun schlimm eiternde Wunde ins Bein geschlagen hatte. So ruderten denn zu Tauerns Verblüffung statt eines zwei Boote heran; im Schlepptau des fremden Nachen unser neuer Klüverbaum und drinnen das uns reichlich gespendete "köstliche Naß". Darüber wurde es Nacht, eine sternenklare, wonnige Nacht. Wir zeigten unseren staunenden Gästen all unsere Attraktionen und ließen sie unbekannte Genüsse kosten, wovon ihnen keiner so gefiel wie "Püppchen, du bist mein Augenstern", von unserem Phonographen aus dem großen grünen Trichter gekräht und auf Verlangen des Publikums wohl 5 mal wiederholt.
Beseeligt ruderte unser Auditorium um Mitternacht wieder heim, wir aber befestigten den schönen neuen Klüverbaum, hißten beide Segel und überließen uns einem freundlichen Windgott.
Am folgenden Tage, dem 1. Dezember, glitt nicht allzu weit von uns ein Passagierdampfer in Richtung Singapore vorüber. Wir überlegten kurz, ob wir die Notflagge aufziehen sollten, damit er uns mitnehme, aber unser Stolz bezwang die Versuchung. Diese hämische Freude sollte den Schwarzsehern von Behn, Meyer & Co. nicht beschieden werden!
Die Sonne versank, nun war es wieder einmal an mir, bis zur Mitternacht am Steuer auszuharren. Bevor mich Tauern ablöste, sah es am Himmel ganz so aus, als werde sich das Drama vom 28. November bald wiederholen, und beim Wachtwechsel entschlüpfte mir der fromme Wunsch "Viel Vergnügen". Richtig, bald schreckte mich beim Einschlafen ein jäher Stoß, ein lauter Krach und dann ein wildes Schaukeln der Freiburg auf. Wieder ein Orkan, und unser schöner frischer Klüverbaum durchgeknickt. Entsetzlich! Zum zweiten Male würde uns die Glücksgöttin nach der Katastrophe schwerlich die Hand reichen.
Aber sie tat es. Als es Morgen ward, lag da vor uns abermals eine Insel, sehr klein, flach und voll hohen Buschwerks; aus ihm ragten, wie uns das Fernglas zeigte, einige höhere Bäumchen, die zu einem Klüverbaum taugen mochten. Also warfen wir den Anker, er haftete in 10 m Tiefe im schlammigen Grund. Wieder war es Tauern, den das Los dazu verurteilte, an Bord der "Freiburg" zu bleiben, Deninger und ich sprangen ins Beiboot. Wir mußten uns diesmal kräftig in die Riemen legen, denn ein starker Wind blies uns entgegen. Als wir endlich anlegten, war das ein Inselchen, ganz mit Korallengrus bedeckt. Hinter einer breiten, ganz spärlich bewachsenen, glühend heißen Sandzone struppiges, stacheliges Gebüsch, durch das wir uns mühsam zwängen mußten, bevor wir endlich ein ziemlich gerades Stämmchen entdeckt hatten. Wir schlugen es mit unserer Axt für den Wassertransport zurecht, schleiften diese Stange durch das verfilzte Strauchwerk und banden sie hinten ans Beiboot. Das war um die Mittagsstunde, und die Hitze war unerträglich geworden. Als wir losruderten, merkten wir gleich, daß wir trotz aller Anstrengung nur ganz langsam voran kamen, denn das Boot wurde gebremst durch das nachschleifende Stämmchen. Obendrein hatte sich der Wind um 180° gedreht und war wieder unser Feind geworden. Dann gewahrten wir etwas noch viel Schlimmeres: Die "Freiburg" trieb ins Meer hinaus, immer weiter, immer weiter! Endlich stand sie wieder still, doch von unserem Inselchen fast zweimal so weit entfernt wie am Morgen. Das Ärgste kam aber noch. Auf halber Strecke brach die Malaria, die ich mir in Perak zugezogen hatte, plötzlich mit aller Gewalt wieder aus. Der Schüttelfrost packte mich, mir schwanden die Sinne, die Ruder entglitten meinen Händen, und schon lag ich bewußtlos im Boot.
Als ich die Augen wieder aufschlug, war die Sonne untergegangen. Unser Boötchen lag an der Seite seines "Mutterschiffs"! Mit verbissener Energie hatte es Deninger ganz allein bis hierher geschafft, denn es ging ja auf Tod und Leben. Nun aber wars auch mit ihm aus. Unsere Malayen mußten uns aufs Deck heben, denn hinaufklettern konnten wir beide nicht mehr; und dann lagen wir da eine Weile wie leblos.
Als wir uns wieder aufgerafft hatten, gestand uns Tauern, was geschehen war. Sobald er bemerkt hatte, daß wir von dem Eiland abstießen und der Wind dorthin blies, hatte er den Anker eingezogen in der Meinung, die "Freiburg" werde uns nun zugetrieben werden. Da das aber keineswegs so war und die Entfernung wuchs, hatte er rasch wieder ankern wollen; der Anker aber schleifte eine lange Strecke im schlammigen Grund, bevor er endlich faßte.
Nun, auch das war wieder einmal gut gegangen, und nun konnten wir wieder segeln. Von einem kräftigen Rückenwind geschoben, machten wir den ganzen nächsten Tag eine gute Fahrt. So ging das auch in der Nacht zu unserer Freude fort. Endlich war also der beständige Monsun gekommen, auf den wir, allen Prophezeiungen unseres "Segelhandbuches" zum Trotz, so lange hatten warten müssen. Aber auch er hatte seine Tücken!
Wieder einmal war es jetzt an mir, die halbe Nacht hindurch das Schiff nach dem Kompaß zu steuern. Nach einer Weile drehte der Wind ein wenig und wollte das eng angezogene Großsegel von hinten oder gar von der anderen Seite packen. Ich schrie also nach achtern, wo Siddin das Segel bediente "Buka layar" (Laß das Segel frei)! Nichts erfolgte. Ich gab das Kommando zum zweiten Mal, denn das Großsegel begann schon zu flattern. Nichts geschah. Da ließ ich das Steuerrad los und wollte nach hinten eilen, um dort nach Siddin zu schauen. Doch ich kam nicht weit; auf halbem Wege sah ich die weiße Wand des Großsegels gespenstisch auf mich zukommen; abwehrend streckte ich ihr beide Hände entgegen, aber die Gaffel gab mir einen kräftigen Schlag vor die Brust und warf mich rücklings über die ganz niedrige Bordwand ins Meer. In meinem Todesschreck habe ich dabei wohl mit den Beinen gezappelt, denn der eine Fuß verfing sich von außen im Gestänge der Reling, während ich schon mit Kopf und Rumpf durch die Wogen geschleift wurde.
Mein Gymnasialturnlehrer hat mir im Halbjahreszeugnis allemal eine 4 zugemessen, aber das hätte ihn gewiß gereut, wenn er den akrobatischen Kunststücken zugeschaut hätte, die ich in dieser peinlichen Situation folgen ließ; ich brachte es fertig, nun auch den anderen Fuß unter die Reling zu schieben und mich dicht an den Schiffsrumpf zu ziehen, dann packte ich die Bordkante mit beiden Händen, griff auf die Relingstange über und warf mich mit einem kräftigen Rück auf und über sie. Da stand ich nun, mit einem trockenen Pyjamabein, ansonsten aber ganz "mariniert", und sauste gleich in die Kabine, weckte meine Kameraden auf tiefem Schlaf und verwies fröhlich auf meine Toilette mit der kausalen Erklärung: "Ich komme nämlich gerade aus dem Meer"!
Dann mußte ich mich aber pflichtgemäß wieder ums Schiff kümmern. Achtern sah ich etwas glühen: Das war Siddings Zigarette. "Siddin, wo warst Du?" herrschte ich ihn an. "Oh Herr, ich habe immer hier gesessen". - "Du lügst" - "Nein, ich habe mir nur einmal die Zigarette im Laderaum angezündet".
Also wars diese Zigarette gewesen, die mich ums Haar das Leben gekostet hätte. Die "Freiburg" machte mit gewendetem Segel wieder eine flotte Fahrt, und ehe mein Verschwinden bemerkt worden wäre, hätten mich wohl schon längst die Haie verspeist.
Die nächste Nacht bescherte uns abermals ein gefährliches Abenteuer. Wir hielten genau Kurs auf den Hafen von Muntok, dem Hauptplatz der Insel Banka, den wir nach unseren Berechnungen am kommenden Vormittag erreichen würden, wenn der Wind uns günstig blieb.
Unter dem gestirnten Firmament tauchte plötzlich vor uns ein grünes und gleich daneben ein rotes Licht auf; das waren die Mastlichter eines Dampfers, der nun mit großer Geschwindigkeit auf uns zukam. Um ihm auszuweichen, versuchten wir seitab zu kreuzen - aber vergebens, die Freiburg, kiellos und mit einem falsch angebrachten Vorsegel, vermochte nur stur geradeaus zu fahren! Immer höher wuchsen unterdessen erst die Aufbauten, dann auch der Rumpf eines großen Passagierdampfers aus der Nacht, genau auf uns zu, als wolle er uns rammen. Voller Schrecken ergriff ich die Bordlampe und schwenkte sie hin und her. Deninger holte eilends seine Trompete aus der Kabine und schmetterte grelle Warnschreie; aber keiner bemerkte das! Die hohe, hell beleuchtete Kommandobrücke war leer! Niemand rechnete dort offenbar damit, in diesem Fahrwasser einem unauffälligen Hindernis zu begegnen. Aber während wir schon glaubten, nun habe unser letztes Stündlein geschlagen, verschoben sich urplötzlich das rote und das grüne Licht mit großer Schnelligkeit. Im letzten Augenblick hatte uns ein Steuermann bemerkt, und der Ozeanriese, hell leuchtend aus vielen Fenstern und Bullaugen, rauschte majestätisch ganz dicht an uns vorbei. Dann entschwand der Spuk unseren Blicken so rasch wie er erschienen war.
Wir atmeten tief auf: Noch einmal waren wir davongekommen! Als wir am nächsten Morgen, dem 5. Dezember, vor uns die große Insel Banka sichteten, blies uns der Wind aus vollen Backen in das weit ausgelegte Segel, lustig flatterte am Heck unsere schöne Reichsflagge, und mit einer Geschwindigkeit, die alle unsere bisherigen Rekorde überbot, flogen wir die Küste entlang, unserem nächsten Ziel zu, Muntok, Sitz des holländischen Residenten von Banka und Billiton. Das Hafenbecken war von sehr hohen Kaimauern eingefaßt. Dort lagen zwei Frachtdampfer; wir gesellten uns ihnen zu und legten sauber am Fuß der Kaimauer an. Aber schon kam der Hafenmeister in voller Dienstuniform herbeigeeilt, fragte uns von hoch oben herab nach Name und Art und verlangte unsere Schiffspapiere. Schiffspapiere? So etwas hatten wir nicht! Da wies er uns barsch aus dem Hafen, als seien wir Piraten. Uns aber konnte er nicht einschüchtern. Wir forderten ebenso barsch, mit dem Residenten telephonieren zu können. Kaum hatte dieser vernommen, wer wir waren, kam alles "terecht". In alle Windrichtungen, und so auch nach Banka, war nämlich aus Singapore schon vor Tagen telegraphiert worden, die Freiburg sei auf der Fahrt nach Java verschollen, man möge nach ihr suchen lassen!
Sehr erleichtert durch unseren Anruf ließ uns der Resident sogleich in seinem Auto abholen. Was wir ihm dann von unseren Abenteuern der letzten 11 Tage erzählten, machte ihm so viel Spaß, daß er uns gern jeden Gefallen tat. Er ließ von der Marinewerft einen Ingenieur kommen, der sich unseren Schaden besah und gleich erklärte, die Reparatur werde nur 3 Tage dauern. So geschah es wirklich, ohne daß es uns einen einzigen Gulden kostete. Aber die Freundlichkeit des Residenten gingen noch weiter: Wir wurden gastlich bewirtet und von seinem Chauffeur im Regierungsauto zu den berühmten Zinnminen gefahren, weit und breit die einzige Attraktion. Nach all dem überstandenen Ungemach fühlten wir uns auf Banka so gut umsorgt wie der edle Dulder Odysseus auf der Insel der Phaeaken.
Nach herzlichem Abschied von unseren guten Helfern ratterten wir mit dem geheilten Motor am 10. Dezember wieder in See und nahmen Kurs auf Batavia (Pjakastan, wo wir nach 42 Stunden anlangten, diesmal ganz ohne ein sensationelles Intermezzo. Hier verließen uns zwei unserer Malayen; die durchlebten Abenteuer hatten ihnen reichlich gelangt. Nur Siddin, der "Seefahrer", blieb uns unerschütterlich treu. Zunächst stellten wir uns dem Generalgouverneur, Herrn van Idenburg vor, der sich schon über unsere Vergangenheit und unser Vorhaben genau hatte unterrichten lassen und uns mit Empfehlungsschreiben an die Residenten von Amboina und Ternate ausstattete. Dann besuchten wir Buitenzorg, wo mich das Zoologische Museum, von einem unwissenden Major a.D. geleitet, bitterlich enttäuschte. Aber trotz aller lockenden Pracht der Umgebung mochten wir uns, vom Zeitplan gedrängt, hier nicht lange aufhalten, wollten wir doch möglichst schon um Neujahr in Buru sein.
Am 15. Dezember stießen wir von der Kaimauer des kleinen romantischen Fischereihafens ab. Unser nächstes Ziel war Surabaya, 700 km entfernt, wo wir gedachten, unseren Motor von der Firma "Soerabajasche Maschinenhandel" gründlich durchsehen zu lassen, denn die gefährlichste Strecke stand uns dort noch bevor. Bis wir nach 72 Stunden die Reede von Surabaya sichteten, lief alles wie am Schnürchen. Ein guter Wind füllte uns Tag und Nacht die Segel, und der Motor bockte niemals, doch mußten die Lager von Tauern dauernd mit Seewasser gekühlt werden, da sie sich heiß zu laufen drohten. Für Deninger und mich, die sich daher in einem 6-Stunden-Turnus in den "Dienst am Steuer" teilten, gehörte diese Fahrt unweit der Nordküste von Java zu den grandiosesten Erlebnissen. In langer Reihe tauchten die gigantischen Vulkankegel vor uns auf, und ehe einer dem bewundernden Blick entschwunden war, erhob sich schon der nächste, von einem Ring weißer Wolken umgeben. Um die erhabene Schönheit dieses Landschaftsbildes so recht zu erfassen, muß man es, so wie wir, vor allem in den frühesten Tagesstunden angestaunt haben, wenn diese ungeheueren Pyramiden noch blauschwarz vor dem fahlgelben Morgenhimmel stehen, bis nach einer Weile ihre Spitze, vom ersten Sonnenstrahl getroffen, zu leuchten beginnt.
Auf der weiten Reede von Surabaya sichteten wir am Nachmittag des 18. Dezember schon von weitem eine Anzahl großer Dampfer, und bald umgab uns ein Gewimmel von Fischerbooten, die unter Segel vom Fang heimkehrten und geraden Kurs auf ihr Hafenbecken nahmen. Die Seekarte belehrte uns, daß größere Schiffe eine ständig ausgebaggerte Fahrtrinne einhalten müssen, die in weitem Bogen nach dem Hafen führte. Im Vertrauen auf unseren geringen Tiefgang glaubten wir, diesen Umweg vermeiden zu können und schlossen uns den Fischerbooten an. Das hätten wir nicht tun sollen! Denn es dauerte nicht lange, da bemerkten wir, daß wir trotz laufendem Motor in der trüben Flut nicht mehr vom Fleck kamen. Unser stolzes Schifflein hatte sich in den schlammigen Grund eingebohrt und steckte schon so tief in der zähen grauen Masse, daß uns der Rückwärtsgang der Schiffsschraube nicht mehr daraus befreien konnte. Nur mit Brachialgewalt gelang es uns nach heißer Mühe, dieser versteckten Falle rückwärts zu entschlüpfen, nachdem wir alles an Bord zusammengesucht hatten, was sich zum Abstoßen eignen mochte. Unser Vorwitz brachte uns um zwei kostbare Stunden, denn wir mußten nun doch noch den durch Bojen abgesteckten Halbkreis einschlagen.
In der Stadt stiegen wir in einem Hotel ab, denn die "Freiburg" sollte ja in Reparatur gehen. Der Motor wurde dort tagelang nach allen Richtungen hin geprüft, und als die Firma behauptet hatte, nun sei alles wieder gut, wurde eine Probefahrt auf dem die Stadt durchströmenden Fluß, dem Kali Mas, vereinbart, an dem wir und die verantwortlichen Ingenieure teilnahmen. Diese Gelegenheit benutzte das Unglücksboot, uns einen lustigen Streich zu spielen. Der durch ein Wehr gestaute Fluß führte am linken Ufer in eine Schleuse, die uns zur nächsten Stufe herabsenken sollte; aber als wir uns dieser Stelle auf etwa 200 m genähert hatten, blieb der tückische Motor stehen und die nun nicht mehr steuerbare Freiburg wurde von dem übervollen Fluß nicht in die Mündung der Schleuse, sondern genau auf das Wehr getrieben, wo seine trüben Wasser sich in drei Meter hoher Kaskade in die Tiefe stürzten. Um ein Haar hätten wir diesen Luftsprung mitmachen müssen, aber glücklicherweise war ein starkes Tau zur Hand, das wir der uns neugierig am Ufer begleitenden Volksmenge zuwerfen konnten. Es war wieder einmal gut gegangen!
Aber nun mußte die Freiburg abermals ins Dock gehen, und unsere öde Wartezeit in der Schwüle dieser reizlosen Stadt nahm ihren Fortgang. Das schlug mir zum Heil aus, denn ich durchlitt um Neujahr einen Malariaanfall, verbunden mit starker, äußerst schmerzhafter Leberschwellung. Der deutsche Arzt, der gleich herbeieilte, stellte fest, daß ich einer tödlichen, durch Plasmodien verursachten Leberruptur mit knapper Not entgangen sei, und verordnete mir arsenhaltige Pillen als Zusatz zur Chininprophylaxe. Das hat mich vor weiteren bedrohlichen Anfällen dieser Art für die Dauer bewahrt.

Kunsthistorische Eindrücke aus Java

(Aus einem Brief Stresemanns an seine Schwester vom 1.1.1911)

(...) Es ist mir jedes Mal ein großer Genuß, durch Markt und Straßen zu spazieren und die farbenprächtigen Trachten zu sehen. Die gebatikten Zeichnungen bringen mich manchmal ganz aus dem Häuschen. Ganz javanische Eigenart sind vor allem - ja wie soll ich sagen - die Flammenmotive; Du wirst sie auf einem für Grein bestimmten Kopftuch sehen, auf der nahen Insel Madura wird alles feuerrot und gelb gezeichnet, es wirkt sehr wild, fast diabolisch, die Leute sind unerschöpflich in geschickter Variation desselben Motivs. Es hat im allgemeinen jedes Dorf, in dem gebatikt wird, seine eigenen Farben, deren Herstellung meist geheim gehalten wird und seine eigenen Motive. Die Javaner verstehen es gleichfalls meisterhaft, Menschen, Tiere und Blumen zu stilisieren. Wir haben ein ganz fabelhaftes Wundertier-Gewand: die Augen stehen natürlich wie im Maler Klecksel auf einer Seite. Und dann solltest Du mal die holz- und elfenbeingeschnitzten Götterbilder sehen! Es ist erstaunlich, welches Gewicht die Javaner auf Farben legen; trägt einer unserer Boys einen rotgezeichneten Sarong, so setzt er ein rotumrahmtes Käppchen dazu auf, zum Sarong in blau gehört ein blauumrahmtes. Die Leute geben sehr viel darauf, schick auszusehen. Ja, in den Städten sollen sogar die Batikbetriebe der Mode unterworfen sein.
In der Bearbeitung des Kupfers entwickeln die Javaner längst nicht soviel künstlerischen Sinn. Meist wird alles mit stilisierten Pflanzen und Menschengestalten derart übersäht, daß kein glattes Fleckchen übrig bleibt und man nirgends den ordnenden Gedanken erkennen kann. Das kleine Näpfchen, das ich schicke, ist eines der wenigen Ausnahmen, vielleicht auf einer der Nachbarinseln gefertigt; hoffentlich gefällt Dirs, Du solltest es eigentlich erst am 23. Februar sehen, ich denke mir Veilchen darin. - Das schönste was ich bisher gesehen und gekauft habe, bringt Elsa mit; es ist eine ziselierte kleine Silberplatte. Du wirst starr sein wir ich, wenn Du sie siehst, (ich meine die Silberplatte; über Elsas plötzliches Erscheinen war ich allerdings auch starr)

4. Januar
Elsa sagte: Alle wahrhaft künstlerischen Stücke besitzen keinen Nationalcharakter. Man sieht ihnen nicht an, ob sie in Europa oder in China, in Java oder Japan oder Indien erdacht sind. Und sie zeigte mir eine Anzahl Sachen aus allen diesen Ländern, die ebenso gut 1910 in den Werkstätten der Handwerkskunst hätten entworfen sein können.
Es ist doch sonderbar, dachte ich, sollte unsere deutsche Kunst von heute die sich in den einfachen selbstverständlichen "ungekünstelten" Linien und Formen gefällt - Formen in engster Beziehung zur Funktion - wirklich das über den Zeitgeschmack sich erhebende Ideal der Kunst erreicht haben? Sollten wir jetzt wirklich die "Kunst an sich" besitzen? Die Tatsache, daß die schönsten Ergebnisse fremder Kulturen ganz in den Rahmen unserer heutigen Kunst sich einfügten, sprach ja dafür, und Elsa war auch dieser Meinung. Oder - sollten uns diese Stücke eben nur deshalb so gefallen, weil wir durch unsere heutige Kunstrichtung beeinflußt sind? Ein Blick auf die Geschichte unserer Kunst hätte uns ja belehren können, daß alle Kunstepochen von sich annahmen, daß Ideal, das nicht Übertreffliche erreicht zu haben; aber hätte sie auch wie wir, heute die treffliche Stütze ihres Größenwahns finden können, daß auch andere Kulturkreise unabhängig von ihnen ganz dieselben Formen erdachten und als schön empfanden?
Da brauchte ich nun nicht lange zu suchen: ich sah zum Beispiel einen in Elfenbein geschnitzten Krisgriff, eine Götterfigur darstellend, der aufs Peinlichste genau alle Ornamentformen des Rokoko aufwies, jeder Zuhause hätte es für unzweifelhafte Rokokoarbeit oder Rokokonachahmung gehalten, aber von Nachahmung kann weder hier noch in den Fällen "moderne Ornamentik", die ich im Auge habe, die Rede sein. Viele Batikmuster, besonders die Stilisierung von Tieren und Pflanzen und ihre Gruppierung zum Gesamtornament erinnert in ganz erstaunlichem Maße an byzanthinische Kunst, innerjavanische Silbergefäße, denen nie ein europäisches Vorbild Pate gestanden hat, tragen echte Empireornamente. Es lassen sich freilich an all diesen Stücken unverkennbare javanische Motive entdecken, aber das sieht man erst nach einiger Erfahrung (in den Erzeugnissen der neuesten Zeit machen sich manchmal europäische Einflüsse deutlich bemerkbar, insbesondere in Blumenmustern, deren Auffassung und Stilisierung sich dann deutlich von der javanischen abhebt; im allgemeinen aber ist die Wahrung des Traditionellen erstaunlich groß. Besonders interessant in dieser Hinsicht war mir ein erst in der neueren Zeit gezeichnetes Tuch, das Meermotiv behandelnd mit Schiffen, Meertieren und Meerpflanzen; die Schiffe wurden durch den stilisierten Typ des portugiesischen und holländischen Kauffahrtsschiffes aus dem 17. Jahrhundert dargestellt.
Das einzige Gemeinsame, das alle Batiksachen (für Schnitzereien und Ziselierung ist es anders) zusammenhält, ist die Herstellungstechnik, nicht die Ornamentik; wie ich schon bemerkte, tragen die Motive in jeder Gegend einen selbständigen Charakter.
Als ich frisch nach Java kam und noch fast nichts derartiges gesehen hatte, war es ganz natürlich, daß ich an einem dieser Typen sofort ein besonderes Wohlgefallen fand (man kann sich ja auch nicht gleichzeitig gleichmäßig für Barock und Empire begeistern), und ebenso natürlich daß meine Wahl stark nach dem Geschmack des heutigen deutschen Kunstgewerbes ausfiel.

6. Januar
Aber schon nach einigen Tagen wurde ich dieser strengen Muster müde; mir gingen auf einmal Augen und Verständnis auf für krause, wirre verschlungene Linien, wilde leuchtende Farben; früher war ich durch den anderen Stil gefangen, blind, fast ablehnend daran vorübergegangen. Meine Vorliebe für bestimmte Farbkompositionen, Linien, Gruppierungen änderte sich, da ich sehr viel sah, fast von Tag zu Tag; ich lernte das Schöne zu entdecken, in dem was mir erst roh und widersinnig schien. Es ist dies eine große Kunst - Lebenskunst - sich hineindenken zu können in fremde Empfindungen, in allem selbst dem ungewohntesten und unerwartetsten, den leitenden Gedanken zu entdecken, so weit dem Objekte überhaupt ein solcher zugrunde liegt; anders ist es kein Kunstwerk. Dann wird Deine Welt voll von Schönheit, die sonst für Dich tot - nicht geboren wäre. Eine Lebenskunst, die in gleicher Weise gilt, für das Auffassen des künstlerisch geformten Gedankens (Bildwerk und Schriftwerk) wie für das Verständnis fremder Menschen (es ist dies ja im Grund eins). Ich glaube, gerade dem selbstschaffenden Künstler, und auch Dir, geht diese "Tugend" sehr oft ab; er, der sich mehr als andere eine eigene Auffassung der Dinge herangebildet hat, verschließt sich mehr als nur Kritisierende dem Verständnis fremder Anschauungen. Es kommt mir dies oft vor wie eine Furcht von seinem Wege abgeleitet zu werden.
Mir war diese rasche Variation dieses rasche Weiterentwickeln des Geschmacks sehr interessant; es war wie eine kurze Rekapitulation der Empfindungen, die die Menschheit während der gesamten Kunstgeschichte geleitet hatten; wir Naturwissenschaftler würden dabei ans biogenetische Grundgesetz denken.
In diesen Tagen ist etwas ganz Neues bei mir hinzugetreten; mit der Vorliebe für das Bizarre verbinde ich jetzt eine Schwärmerei für das Lebende im Kunstwerk. Du verstehst mich: ich meine nicht das "Lebendige", das man durch Farben und Formen zu erzielen sucht: das "allerwildeste" kann für mich tot sein, wenn es mit der korrekt arbeitenden Druckmaschine oder Gußform hervorgebracht wurde. Ich verstehe darunter vielmehr den Zauber der von den Spuren der arbeitenden Hand ausgeht, ein Kultus des Unkorrekten. Kein Wunder, daß ich gerade auf Java diese Empfindungen weiterentwickelte, wo so vieles noch Handarbeit ist, was bei uns längst die tote Maschine übernommen hat; voran die Ornamentierung des Tuches. Du weißt, wie das die Javaner machen: ein Stück Tuch wird mit Wachs abgedeckt und nur die Stellen freigelassen, die man färben will; darauf wird alles in einen Farbstoff getaucht; will man mehrere Farben erzielen, so wird an anderen Stellen das Wachs entfernt, die alten Stellen werden wieder bedeckt wenn man nicht Mischfarben erhalten will. Dies geschieht natürlich alles mit der Hand. Die Stücke, die ich Euch bisher schickte, sind nun nicht vollständig Handwerk insofern, als eine auf die eben beschriebene Weise hergestellte Wachsschablone mehrmals (viermal und mehr) auf dem selben Tuch angewendet wurde. Die selbe Schablone kann für eine Anzahl weiterer Tücher verwendet werden: es ist also Fabrikbetrieb. Nun gibt es aber auch Stücke, die ganz ohne Schablone gearbeitet, also echtes Handwerk sind; solche Stücke, ja meist auch ihre Ornamentik sind also unika. Hier empfindet man in tausend Unregelmäßigkeiten die Arbeit des Künstlers und das wirkt lebend und erfrischend wie die Arbeit selbst. Ich besitze einen Sarong mit Götterfiguren: die sollen sich nach gewissen Unterbrechungen wiederholen, aber in Wahrheit sind sie einander doch so unähnlich geraten wie der Max dem Moritz. Bei dem einen Gott hat der gute Meister da das linke Bein vergessen! Und dann all das köstlich Naive, das gerade in diesen Unikas besonders stark hervortritt: bei Mensch und Tier fast stets zwei Augen auf einer Seite, die vier Füße natürlich alle voreinander, die Vögel mit Archaeopteryx-Schwänzen, die gleiche prächtige Unkorrektheit tritt in Schnitzereien und Ziselierungen hervor.
(Ende des Briefes an die Schwester)

Mittlerweile hatte "Soerabajasche Maschinenhandel" durch Berechnungen festgestellt, warum unser Motor sich so oft überhitzt hatte. Bei beladenem Schiff war die Schraube zu groß für den Motor. Aber bis zur Herstellung oder Lieferung einer passenden Schraube wollte Deninger nicht warten. So riskierten wir denn die Weiterfahrt mit dem alten Übel.
Der Expeditionsleiter hatte beschlossen, neben dem bewährten Siddin einen Trupp Javaner auf der Freiburg nach Buru zu befördern, wo uns diese Leute zu allerhand Verrichtungen dienen sollten. Mit der Anwerbung wurde unser Hotelportier beauftragt, und alsbald meldete sich ein bunter Haufen von Javanern und Maduresen, von denen 11 Mann ausgewählt wurden. Nun mußten auch diese "Fahrgäste" mitsamt ihrem für 14 Tage berechneten Reiseproviant im engen Laderaum verstaut werden. Einer von ihnen bat einen Tag vor der Abfahrt um einen Vorschuß und kehrte abends mit einem ganz jungen Mädel zurück, das er mit Hilfe dieser kleinen Summe nach islamischem Ritus geheiratet hatte. Auch diese Neuerwerbung wurde nun noch an Bord genommen, wenn auch recht widerwillig, und verschwand schüchtern da drunten zwischen den Reissäcken.
Am 8. Januar 1911 fuhren wir endlich davon, unserem nächsten Ziel entgegen. Das sollte irgend ein kleiner Ort an der Nordküste von Lombok sein, wo wir Wasser einnehmen wollten, denn der Inhalt unserer Behälter reichte für 15 (jetzt 16!) Menschen nur 3 oder 4 Tage lang. Zum gleichen Zweck wollten wir danach an der Nordküste von Flores anlegen und weiterhin über Kalao Tua und die Tukang-Besi-Inseln zur Ortschaft Tifu auf Buru steuern. So unser kühner Plan. Ein freundliches Geschick hat ihn stark abgewandelt.
Schon in der zweiten Nacht gabs eine Tragikomödie. Mitten in der Straße von Madura erreichte uns ein Gewittersturm, der die Wogen aufpeitschte, bis die "Freiburg" stark zu schlingern begann. Das versetzte unsere "Jongens" in Angst und Schrecken, denn die Mehrzahl hatte noch niemals das feste Land verlassen. Einige, darunter auch die Neuvermählte, wurden so seekrank, daß sie wähnten sterben zu müssen und uns beschworen, schleunigst umzukehren. Wir vertrösteten sie auf die nächste Landung und haben dort ihre dringende Bitte sehr gern erfüllt.
In der Morgendämmerung des 11. Januar umfuhren wir, meist nahe der Küste bleibend, das Nordost-Kap von Java, hinter dem der gewaltige "Wächterberg" , der Gumung-Raun, in drohender Majestät bis zu 3300 m aufragt. Dann querten wir die nördliche Ausmündung der Bali-Straße. Von der reißenden Strömung beflügelt, schießt gerade ein holländisches Kanonenboot pfeilgeschwind hervor, und wir sind tief gekränkt, als es unseren Flaggengruß nicht erwidert. Vor uns erhebt sich nun lockend das Gebirge von Bali. Mich ergreift ein heißes Sehnen nach diesen hohen Gipfeln, hatte mir doch Ernst Hartert in einem Briefe, der mich noch in Neapel erreichte, einen Aufenthalt auf Bali dringend empfohlen, weil die Fauna gerade dieser Insel noch sehr ungenügend erforscht sei. Doch zur Landung fehlt uns die Zeit; wir müssen, so erklärt mir Deninger, nach so vielen Verzögerungen unser Programm unbedingt streng einhalten und wollen noch heute in Lombok sein. Mit ihrer seit Surabaya erreichten Geschwindigkeit von stündlich 6 Seemeilen gleitet also unser Schiff unbeirrt nicht weit von der verlockenden Küste nach Osten.
Es ist nun Mittag geworden. Auf einmal wird der Takt unseres Motors langsamer und langsamer. Entsetzt springt Tauern in den Motorraum - zu spät: dort unten ist's ganz still geworden. Unser "Maschinist" steckt gleich wieder den struppigen Kopf heraus und meldet mit Grabesstimme: "Das Schwungrad läßt sich nicht mehr bewegen!" Schon dreht sich das Großsegel langsam in die Windrichtung, und träge wiegt sich das Naturforscherschiff auf der sanften Dünung. So treiben wir dahin, bis es dunkelt.
Odo Deodatus will, wie vordem, zu kleiner Nachtmusik seinen Phonographen hervorziehen, aber wir anderen winken ab, das Süße Püppchen und sämtliche Damen vom Maxim hängen uns nun schon zum Halse heraus. Zur Hebung der Stimmung fällt uns etwas Wirksameres ein: Wir greifen zu unserem Köstlichsten, der Konservenbüchse mit der Aufschrift "Frankfurter Würstchen mit Sauerkraut", und schmausen mit Wonne. Ich glaube, wir haben dann an diesem Abend sogar etwas gelacht!

Bali
Es bleibt die ganze Nacht fast windstill. Wir haben das Segel weit hinausgelassen, aber die Großschot hängt schlapp im Wasser. Am Morgen stellen wir fest, daß uns die Strömung weit nach Süden versetzt und näher an die Küste von Bali befördert hat, wogegen wir doch gehofft hatten, sie werde uns nach Osten zur Reede des balinesischen Küstenortes Buleleng geleiten. Da das Kreuzen mit diesem Fahrzeug unmöglich ist, lassen wir uns vom Lufthauch gemächlich bis an den Strand treiben und werfen dort gegen Mittag irgendwo den Anker. Hohes Buschwerk versperrt uns den Ausblick. Während die anderen damit beschäftigt sind, das Schiff festzumachen, springe ich an Land und zwänge mich neugierig durch den grünen Vorhang. Da höre ich Getrappel von Pferdehufen; auf wohlgepflegter mit rötlichem Kies bedeckter Fahrstraße kommt ein Dogcart daher, kutschiert von einem malerisch gekleideten Mann. Das also ist das wilde, unbekannte Bali meiner zügellosen Phantasie, die mir hinter jedem Busch einen Tiger oder einen feindselig lauernden Eingeborenen vorgegaukelt hatte!
Bald kamen auch einige Männer und Frauen des Weges. Sie sind im Begriff, von der Feldarbeit in den nassen Reisfeldern heimzukehren, und starren mich verblüfft an. Ich versuche es mit meinem Malayisch, aber keiner versteht den Sinn, und was sie sagen, begreife ich ebenso wenig. Da nehmen sie mich kurzerhand unter fröhlichem Lachen in ihre Mitte und geleiten mich zu einer Gruppe strohgedeckter Lehmhäuschen. In einem davon wohnt der Dorfschulze, der Kapala kampong. Der versteht Malayisch. Ihm erkläre ich unsere üble Lage, worauf er zu meiner Verblüffung an einen Telephonapparat tritt und das Regierungsbüro in Singaradja von der "Strandung" unseres Schiffes verständigt.
Meine Gefährten, die in großer Sorge auf mich gewartet hatten, können die holde Mär ihres Kundschafters kaum fassen. Nun hält mich aber nichts mehr an Bord zurück; noch am gleichen Nachmittag gehe ich auf die Vogeljagd und nähere mich dabei dem Urwald, der den "Pik von Bulelang" überzieht.

Der Eindruck von Landschaft, Bevölkerung und Tierwelt hatte mich dermaßen überwältigt, daß ich schon am nächsten Morgen mit Zweien unserer Javaner dorthin aufbrach, wo ich gestern umgekehrt war. Wir erreichten in lähmender Hitze nach dreistündigem Anstieg durch Reisfelder und Maisanpflanzungen den Waldrand, hielten uns dort des längeren mit der Vogeljagd auf und kehrten recht erschöpft um. Drum waren wir sehr froh, als uns unterwegs einige malayisch sprechende Feldarbeiter zu ihrem Picknick einluden: es gab junge Maiskolben, am offenen Feuer geröstet und dazu erfrischendes Kokoswasser. Obendrein boten sie mir einen 8 Monate alten Wasserbüffel für 3 Reichstaler (= 7 1/2 Gulden) an, aber leider mußte ich diese günstige Offerte ausschlagen, denn unsere Gastgeber hatten die Größe und den Komfort des Schiffes, von dem ich ihnen erzählt hatte, entschieden überschätzt. Dann sagten sie mir ganz nebenbei, dieses Schiff liege gar nicht mehr an seiner alten Stelle, sondern sei vom Regierungsdampfer "Spitz" nach Bulelang abgeschleppt worden. Bis dahin war es noch reichlich weit. Autos, die den Reisenden heute in großer Zahl auf gepflegten Straßen nach allen Richtungen geschwind befördern, gab es damals auf Bali nicht, und fahrbare Straßen bestanden nur in der Ebene. Auf ihnen konnte man sich, wie auf Java, im "Sado" befördern lassen, einem leichten zweirädrigen, dem englischen Dogcart nachgebildeten Gefährt, bespannt mit einem jener kleinen fahlbraunen Pferdchen, wie sie vor allem auf der Insel Sumba gezüchtet werden. Diese Pferdchen dienen ansonsten zum Lastentransport oder zum Reiten auf beschwerlichen Bergpfaden.
Einen solchen Sado ließen wir also herbeiholen und langten in der Nacht am neuen Ankerplatz der "Freiburg" an.

(14. Januar - 16. April 1911)
Unser Schiff schwamm dicht am flachen Strand von Buleleng, denn einen geschützten Hafen gibt es dort nicht. Ich fand Deninger bei übler Laune; auf dieser vulkanischen Insel war ja ein Palaeontologe und Stratigraph ganz fehl am Platze. Tauern aber, der Völkerkundler, und ich freuten uns insgeheim über diese erzwungene Unterbrechung der Reise. Wir gedachten sie für unsere Zwecke rasch auszunützen, wähnten wir doch noch immer, in Bälde weiterfahren zu können. Da uns in Surabaya gesagt worden war, nur die falsche Größe der Schiffsschraube sei an allem Unheil Schuld gewesen, wurde nun endlich beschlossen, sofort eine kleinere Schraube dort zu bestellen und auf Bali so lange auszuharren, bis sie gekommen war. Wir rechneten mit 2 bis 3 Wochen und wollten so lange unser Schiff als Standquartier benutzen. Ein Hotel gab es nämlich damals auf ganz Bali nicht, nur hier und da in luftiger Höhenlage ein Rasthaus (Pasanggrahan), eine Herberge vor allem für durchreisende Regierungsbeamte, in der man sich selbst beköstigen und betten mußte. Die Zahl der Europäer, die als Zivilbeamte der holländischen Regierung über das dichtbevölkerte Eiland verstreut waren, betrug zu unserer Zeit etwa sieben Mann. Ganz selten erschien ein weißer Fremdling, und dann nur zu wissenschaftlichen Studien. Schlechte Erfahrungen hatten bewirkt, daß sich keine christliche Mission in diesem "Kulturschutzgebiet" niederlassen durfte.
Den 14 Januar benutzten wir zu einem offiziellen Besuch bei unserem liebenswürdigen "Nothelfer", dem Herrn Veenhuisen, der als Resident von Bali und Lombok im nahen Singaraja amtierte. Dann bereiteten wir eiligst einen mehrtägigen Ausflug ins Innere vor, zu dem uns der Resident geraten hatte.

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(Die Beschreibung Balis
aus Stresemanns Tagebuchnotizen von 1911)

Nachmittags gehe ich zum Jagen an Land und sammle längs des Strandes. Sawahfelder in ihrer zartgrünen Pracht. In Malakka wurde überall die trockene Reiskultur angewandt), umgrenzt von schlanken Kokospalmen voll goldbrauner Früchte inmitten der sanft sich neigenden Wipfel erstrecken sich weit ins Land hinein, bis an den Fuß des steil ansteigenden waldgekrönten Bergrückens in der Ferne, schneeweiße Reiher stelzen in der jungen Saat, ganz ohne Scheu, für das ungewohnte Auge ein entzückender Anblick.

Jenseits des kleinen Baches, in den all die vielen Kanälchen münden, die aus dem fast handbreit mit Wasser bedeckten Reisfeldern herausführen, zieht ein Stiergespann den Pflug durch die schwere Erde, bedächtig, ich bin versucht zu sagen: mit Würde. Was für geduldige Knechte sind sie doch geworden, diese Bantengs, die einstmals als trotzige Wildrinder die Berghänge Balis und Javas, die, auf ihre urgewaltige Kraft vertrauend, den Kampf mit Mensch und Tiger aufzunehmen wagten. Jetzt sind diese gewaltigen zur gutmütigen verachteten Sklaven geworden, ein willenloses Werkzeug in der Hand derer, denen sie einst als toddrohende Feinde gegenübertrat

Die Balirinder haben in ganz erstaunlichem Maße ihren ursprünglichen Typus bewahrt. Bei sehr vielen sind morphologische Unterschiede vom Wildrind überhaupt nicht zu bemerken; manchmal gibt sich bei Stieren in einer Annäherung der Hornform an die der Kühe oder in einer tief braunschwarzen statt hellbraunen Färbung der Decke der degenerierende Einfluß der Domestikation zu erkennnen. Außer dem Kerabau, der sich nicht mit der Bos zu kreuzen scheint, wir keine andere Rinderrasse auf Bali gehalten, so daß eine planlose Vermischung der Bantengs mit Zebus und Taurusrindern, wie dies auf Java der Fall ist, wo man kaum ein reinrassiges Rind wenigstens in den Großstädten zu sehen bekommt, nicht stattfinden.

Mehr noch als der Banteng, der vornehmlich als Wagenzugvieh und Mastvieh Verwendung findet, wird der Kerabau zur Sawahkultur benutzt. Man begegnet darunter auffällig vielen "Albinos". Mit rosa Haut und weißen spärlichen Haaren, aber pigmentierter Iris; sie erinnern in ihrer Scheußlichkeit an große Schweine.

Da ich mich bereits bei den Haustieren aufhalte, möchte ich vorausgreifend noch einiges über das Bali-Hausschwein bemerken. Von welcher Gruppe von Wildschweinen es abzuleiten ist, ist mir nicht klar; es ist ein nicht großes, oft sehr langschnäuziges Tier, die schwarze Haut reichlich mit schwarzen Haaren bedeckt, häufig eine auffällig hohe Nackenmähne tragend. Das Schwein ist als Haustier ungemein verbreitet, fast jede Familie hat ihre Schweine; nachdem sie gut gemästet sind, derart, daß das Fell des Bauches das Rückgrat tief herabzieht und so ein höchst komisch wirkender Senkrücken entsteht (die Schweine sind länger gebaut als unsere deutschen Hausschweine). Sie werden in großen Transporten (manchmal 900 Stück auf einem Dampfer) nach den großen Städten im Westen, vor allem Singapore verschifft, wo die Chinesenbevölkerung als Abnehmer auftritt. Jeder westwärts steuernde Dampfer nimmt in Boeleleng Schweineladung ein, sie bildet das Hauptausfuhrprodukt der Insel.

Aber das alles sind Erfahrungen am 6. Februar; damals am 12. Januar war ich mir über all diese Verhältnisse noch recht im Unklaren!

Der in nicht allzu großer Ferne sich erhebende Bergrücken lockte mich natürlich mächtig, vor allem im Hinblick auf zoologische Ausbeute. Auch verlangte es mich, möglichst bald, die Balibevölkerung kennenzulernen. So brach ich am Morgen des 13. mit Awi und Legiman dorthin auf. Unser Weg führte durch die Ansiedlung, vor der wir lagen; in langer Reihe rechts und links der Landstraße die niedrigen Häuser, meist nur ein viereckiger Raum mit zerklüfteten Lehmmauern umgeben und mit Stroh gedeckt, innen gewöhnlich eine Abteilung für das "Bett", ein mattenbelegtes Holzgestell; die Tür, auffälligerweise hier auf Bali meist eine geflochtene Schiebetür, öffnet sich gastfrei allem, was da drinnen heimatberechtigt zu sein glaubt: Neben kleinen schwarzen Schweinchen, kleinen schmutzigen splitternackten Kindern, Hühnern, Enten und dem Hund.

Dieser Hund verdient ein paar Worte. Jedes Haus besitzt einen solchen Wächter, dessen auffälligste Charaktereigenschaft ein grimmiger Europäerhass ist. Betritt man ein Dorf, so ist man sicher, von einer ganzen Schar solcher kläffwütiger Viecher empfangen zu werden, die sich stets in sicherer Entfernung haltend, mit lautem Bellen allmählich bis vor die Tür ihres Besitzers retirieren, wo sie mit grimmer Miene wieder festen Fuß fassen, als wollten sie sagen: nur über meine Leiche geht der Weg oder etwas ähnliches Bombastisches. Will man aber ins Haus hinein, so geben sie auch hier schließlich klein bei und flüchten mit eingeklemmtem Schwanz hinter die Steine, die den Herd bedeuten.

Es hat sich hier auf Bali in Folge der Isolierung, die noch vermehrt wird durch das Verbot der holländischen Regierung, Hunde nach niederlänisch-Indien einzuführen, eine ziemlich konstante Hunderasse herausgebildet, die durch folgende Merkmale charakterisiert ist: ein Tier etwa von Spitzgröße mit der Kopf- und Körperform und der Färbung einer dänischen Dogge. Ganz offenbar gehört der Hund der Doggengruppe an; da die Leute nicht kupieren, wird die Ähnlichkeit mit unseren gestutztohrigen Doggen etwas verringert. Ob diese Rasse auch auf anderen Inseln des malayischen Archipels zu finden ist, ist mir unbekannt. Ich nehme es als wahrscheinlich an. Natürlich sieht man auch Outsiders, besonders in der Färbung (weiße oder hellbraune); diese sind jedoch in der Minderzahl.

Die erwachsenen Männer unterscheiden sich nicht sehr wesentlich von den Javanern, sie tragen wie diese lange Haare, die unter dem gebatikten Ikat kapala dem Kopftuch, geborgen werden. Dieses Kopftuch wird hier oft sehr phantastisch getragen, indem man einen langen Zipfel nach vorn, rechts oder links keck in die Luft ragen läßt.

Der Sarong, den die Balileute weiterhin mit den Javanern gemeinsam haben und der wie die meisten Kleidungsstücke von Java importiert wird, pflegt gleichfalls originell getragen zu werden: es reicht bis zur Kniegegend, nur vorn in schweren Falten fast bis zur Erde herabhängend. Den Oberkörper bekleidet außer bei der Arbeit nach javanischer Art eine buntgefärbte Jacke, Made in Germany.

Das Hauptschmuckstück des Eingeborenen ist sein Kris, der seine hauptsächlichsten Bedeutung entsprechend möglichst sichtbar mit dem Griff weit aus dem Sarong herausragt. Schon in Soerabaja waren mir unter den unzähligen Krissen aller Qualitäten, die uns die umherziehenden Händler im Hotel anboten, die Balikrisse aufgefallen, deren wuchtige geschlossene Formen sie von den Javakrissen mit ihren oft unverhältnismäßig kleinen sinnwidrigen spielerisch verzierten Griffen auszeichneten. Das waren damals ganz einfache Stücke gewesen, nur roh gearbeitet. Jetzt auf Bali sehe ich Krisse, die an Prunk die wertvollsten und künstlerischsten Javakrise übertrafen, die ich gesehen hatte. Das Motiv einer edelsteinbespickten Wajangfigur aus purem Gold als Griff, der mit Gold ausgelegten, oft sehr kunstvoll verzierten Flammenklinge sah ich bei vielen Vornehmen: manche davon mochte viele tausend Mark wert sein. Die meisten dieser wertvollen Klingen besitzen ein hohes Alter und es haften an ihnen mancherlei Sagen und Traditionen und viel Aberglaube. Ich sah zuerst bei einem unserer Diener, bei Orip, wie man einen Kris zu behandeln hat; bevor er ihn aus der Scheide zog, führt er ihn grüßend an die Schläfe, mit andächtiger, fast betender Gebärde; dann zog er ihn langsam heraus, die Spitze von sich abgekehrt." Rührt ein Weib an die Klinge, so beißt das Eisen nicht mehr", so belehrte er uns. Wahrlich wie ein Hausgott wird er gehalten solch ein Kris.

Die Frauen unterscheiden sich in vieler Hinsicht von den Frauen von Ostjava; sie tragen nur den Sarong, den Oberkörper bis zu den Hüften dagegen frei; die jungen Frauen sind oft von sehr hübschem Wuchs. Die Haare werden in einem einfachen Knoten geschlungen, an einer Seite des Kopfes getragen; jetzt nachdem ich über den Eindruck des Ungewohnten hinweg bin, finde ich diese unsymmetrische Haarfrisur direkt schick. Als Schmuck tragen die Frauen außer den auch in Java üblichen Fußringen (ein schwerer zinnerner oder silberner Ring um jeden Knöchel) noch Ohrröllchen, aus gerollten getrockneten Palmblättern hergestellt, die durch ein großes Loch der unteren Ohrhälfte gesteckt werden.

Die Sitte, daß die Frauen den Oberkörper entblößt tragen, soll sich auf eine Vorschrift der ehemaligen Radjas von Bali gründen, die sich auf diese Weise das Suchen nach hübschen Mädchen des Landes zu erleichtern suchten.

Diese Radjas, ein Hindugeschlecht, dessen Geschichte in jene Zeit des Mittelalters zurückreicht, in der ganz Java unter Hinduherrschaft stand, (die gewaltigen Tempelreste von Boro-Bodur in Mitteljava ragen noch heute als Denkmäler jener Zeit auf), haben das Volk von Bali furchtbar bedrückt. So erließen sie z.B. den Befehl, alles Silber und Gold müsse an sie abgeliefert werden. Wer etwas zurückbehielt wurde grausam bestraft. Daher rührt die große Armut des Volkes, die uns bei einem Gang durch die Kampongs von Boeleleng Singaradja so Recht zum Bewußtsein kommt; daher auch die Einführung des Chinesenpfennigs, hier Kapeng genannt. Dies ist eine etwa markstückgroße in der Mitte durchlochte Kupfermünze, von denen 6 auf den Cent gehen!

Die Geldzustände erinnern daher vollkommen an spartanische Zustände. So wiegt ein holländischer Reichstaler (2 1/2 Gld.) in Kapengs etwa 20 Pfund. Um eine Flasche Kokosöl, die 50 Cent kostet, (80 Pfge). zu bezahlen, muß man 300 solcher Geldstücke abzählen.Das Geld wird an Schnüren aufgereiht, meist 200 an einem Ring; man kann öfters Leute beobachten, die ein wenig Geld, das sie vielleicht beim Verkauf eines Schweines erlöst haben, transportieren: an die beiden Enden einer festen Bambusstange, die der Träger über die Schulter nimmt, werden die schweren Geldringe gehängt, und schwitzend und keuchend stapft der glückliche Besitzer dieser 20 Gulden (= 1 Zentner) einher. Das Stehlen von Geld wird einem auf Bali wahrhaftig "schwer" gemacht.

Die holländische Regierung, deren Einfluß erst in den letzten Jahren größere Dimensionen angenommen hat (die Herrschaft der Radjas wurde erst 1906 nach einer bewaffneten Empörung abgeschafft; es fielen damals mehrere hundert der Königstreuen) nimmt energisch die Einführung holländischen Geldes in Angriff, hat aber bisher nur wenig Erfolg erzielt. Die meisten Eingeborenen besitzen und mögen nur Kapengs. Soviel zur allgemeinen Orientierung. Ich habe dabei den Faden meiner Erzählung ganz verloren und muß daran erinnern, daß ich eigentlich erst einen Tag in Bali bin und soeben das erste Dorf betreten habe.

Wir ließen bald den kleinen Kampong mit seinem Hundegebell hinter uns und bogen links in einen schmalen Weg ein, der in vielen Windungen durch Reisfelder und Kokosplantagen an den Höhenzug heranführte. Aus den Wipfeln klang das vertraute "Schütze von Bülow" unseres Pirols, von einem ihm sehr ähnlichen Verwandten hervorgebracht; zärtliche Turteltaubenpaare wiegten sich auf den Palmenwedeln, und große samtschwarze Papilios mit weiß und roter Zeichnung gaukelten über den Weg. Jetzt, halb acht Uhr, war es schon recht heiß geworden und da ich einen Südhang hinauf wollte, konnte es noch gut werden und so wurde es auch! Als ich am Fuß des Rückens angelangt, wo nunmehr üppige Maisfelder an die Stelle der Sawahs traten, mein deutsches Steigtempo anschlug, rann schon nach wenigen Minuten der Schweiß in hellen Strömen, aber ich sah mit Befriedigung, daß es meinen eingeborenen Dienern noch saurer wurde. Nach etwa 3-stündigem Steigen erreichten wir die Urwaldregion. Der Unterschied der Vegetation von der in Perak war recht auffällig; prächtige Platyceriumfarne bildeten einen mir aus der Natur noch nicht bekannten Baumschmuck; Orchideen, epiphytische- wie Bodenformen, waren in erstaunlicher Fülle vorhanden. Dagegen war der Tierreichtum dieses Waldes ungeheuer gering; ich sah keinen einzigen Vogel und mußte mich an diesem mit großen Erwartungen begrüßten Tag mit einer Anzahl uninteressanter Formen aus der Kulturregion begnügen.

Auf dem Rückweg betraten wir einen kleinen Hof im Walde, der von Klepperbäumen umstanden war, und fragten nach Kokosnüssen (wir hatten noch nichts getrunken den ganzen Tag bei dieser sengenden Hitze). Die Leute verstanden kein malayisch; das balinesisch scheint eine selbständige Sprache zu sein mit einer Anzahl malayischer Fremdworte. So mußten wir zur Zeichensprache unsere Zuflucht nehmen. Im Nu war ein 6-jähriger Bengel affengleich den hohen Stamm hinaufgeklettert und warf uns ein paar grüne Nüsse herab (wir hatten die Gebärde des Trinkens gemacht). Die jüngeren grünen Nüsse, deren Fleisch noch nicht ausgereift ist, sind ganz mit Kokoswasser gefüllt, dessen Geschmack den der in Europa erhältlichen ausgereiften Nüsse weit übertrifft. Solange man sich in der Kulturzone befindet, pflegt man auf dem Marsch seinen Durst am liebsten an Kokosnüssen zu löschen, die für etwa 2 1/2 Cent erhältlich sind.

Freilich steht man oft unter einer Palme voller Früchte mit weit heraushängender Zunge, und daneben der Besitzer, der gern verkaufen möchte, aber es ist augenblicklich niemand im Ort, der auf Klapperbäume zu steigen versteht; solche Leute sind nämlich spärlich gesäht und meist sind es dann die Dorftrottel.

Es wurde Abend ehe wir uns der Küste näherten; wir hatten noch einen Aufenthalt im Kreise einiger malayisch sprechender Feldarbeiter, die mich einluden, an ihrem Picknick teilzunehmen; es gab an offenem Feuer köstlich geröstete Maiskolben. Im Gespräch boten sie mir ein 8 Monate alten Kerabau für 3 Taler an, was für mich sicher ein gutes Geschäft gewesen wäre; aber wir hatten auf der Freiburg wirklich keinen Platz mehr dafür, selbst wenn ein anderes Rindvieh, der Bantung an seiner Stelle abgeschoben sein würde, wie bereits geplant worden war. So nebenbei sagten sie mir auch, daß die Freiburg gar nicht mehr an ihrer alten Stelle läge, sondern vom Regierungsdampfer abgeholt und nach Boeleleng geschleppt worden sei. So langten wir denn, nach einer Wagenfahrt erst in der Nacht wieder auf dem Schiff an.

Wir hatten uns in 3 Kolonnen geteilt; am Vormittag des 15. brach ich als erster auf, mit 2 Packpferden, 3 Pferdetreibern und 4 Dienern. Mein Plan war, den 2150 m hohen Gunung Bratan zu erreichen, auf seinem Gipfel ein Lager aufzuschlagen und dort etwa 8 Tage zoologisch zu sammeln, in einem vermutlich zoologisch noch unbekannten Gebiet. Deninger und Tauern wollten den 1350 m hohen Paß Toja Katipan, von dem aus ich den Gunung Bratan zu besteigen gedachte, überschreiten und zum großen Kratersee Danan Bratan hinabsteigen.

Nach etwa 3-stündigem Marsch auf leidlicher Straße erreichten wir den Ort Gitgit (600 m), wo ich vom Residenten, der zur Erholung in Pasang Grahan (Rasthaus) weilte, und seiner Familie sehr herzlich empfangen und mit allerhand Erfrischungen traktiert wurde. Gitgit bezeichnet die Grenze der Kulturzone. Von nun ab gings auf steilen, vielfach gepflasterten Pfad in Urwald und Regen hinein. Vorher sengende Sonnenglut, jetzt 2 Stunden lang ein kalter Platzregen, der mich aber nur die ersten paar Minuten störte, da ich bald zum Stadium absoluter Wurschtigkeit emporgeklommen war.

Als wir aber in etwa 1000 m ein kleines Häuschen erreichten, hatte ich doch ein Einsehen und ließ die Pferde abpacken, zumal es schon spät am Tage war und mich ein paar wertvolle Vögel, die ich soeben gesehen hatte, mächtig lockten.

So schlief ich denn in dieser Nacht wieder in der Hängematte, wie einstmals droben im Gebirge von Perak; wie dort sangen mich hunderte von Zikaden in den Schlaf, und ganz wie dort brachte die Nacht grimme Kälte, so daß man trotz seiner zwei warmen Decken mächtig fror. Ich glaube, selbst in den unheizbarsten Zimmern der Wiesenbaude hat man in diesen Tagen nicht so gefroren. Uns war in Boeleleng gesagt worden, daß hier oben noch viele Tiger vorkämen, und beim Pferdeleihen mußten wir uns ausdrücklich verpflichten, für die aufgefressenen Gäule aufzukommen; es war daher ein kleiner Nervenkitzel für mich, als plötzlich mitten in der Nacht die Gäule, die unweit des Hauses am Waldrand grasten, laut zu wiehern anfingen. Doch mit Tigern wars hier und auch später nichts, die Leute im Gebirge erklärten, daß sie weiter im Westen jenseits des Danan Boejan vorkämen und so führten wir denn auch diesmal, wie in Perak, die Karabiner vergeblich spazieren.

Ich hatte beschlossen, noch einen Tag hierzubleiben, da die Ornis sehr interessant war; beim Morgengrauen brach ich zur Jagd auf mit dem kleinen Pferdejungen, dem Made, einem flinken lustigen Bengel mit verteufelten Augen, ohne den ich später niemals auszog. Ich konnte zehnmal einen Fleck abgesucht haben, an dem ich einen gefallenen Vogel vermutete, kam Made dazu, so sah er ihn auf den ersten Blick. So gar leicht ist es nämlich nicht, die kleinen schutzfarbigen Vögel im Urwaldgestrüpp oder gar zwischen den Halmen mannshohen Grases zu finden; die Hälfte etwa aller erlegten Vögel geht verloren. Aus den eingeborenen Hunden lassen sich keine Spürhunde machen, sie sind dazu zu dumm, zu faul und zu gefräßig.

Gegen Mittag kam die Tauernsche Kolonne mit 6 Mann vorbei, am Nachmittag Deninger, der mir bis zum nächsten Morgen Gesellschaft leisten wollte.

Wir brachen sehr früh auf, da ich ja noch ein zweites, vor allem hohes Ziel vor mir hatte; nach weiterem starkem Steigen erreichten wir in 2 Stunden die Passhöhe 1350 m. Hier steht aus altersschwarzem Balken roh zusammengefügt, ein kleines Heiligtum, an dem die Scharen der Vorüberziehenden ihr Gebet verrichten und der Gottheit ihre kleine Gabe darbringen, eine bunte duftende Waldblume oder eine Frucht - bevor sie drüben ins Tal hinabsteigen. Dieser Weg wird täglich von vielen Hunderten begangen, denn er ist der hauptsächlichste Verbindungsweg zwischen der Nord- und Südküste; auf ihm wird der größte Teil der Ausfuhrprodukte der Südküste nach Boeleleng geführt: Schweine, Hühner, Enten, Rinder, Kopra.

Ein Marsch auf diesem Weg bringt daher jeden Augenblick eine neue interessante Begegnung. Ein paar Männer kommen daher, den Kopf verborgen unter ungeheueren rundkuppigem Hut aus Flechtwerk, die Kerls sehen aus wie wandelnde Steinpilze, unterm Arm tragen sie sonderbare Körbchen, aus deren jedem ein Hühnerkopf verwundert herausschaut. Diese Körbe werden höchst einfach hergestellt: man schneidet aus einem Palmenblatt ein etwa 30 cm langes Stück heraus, verflicht die Spitzen der beiderseitigen Fiedern miteinander und hat in ein paar Minuten ein hübsches rings geschlossenes Körbchen, das sich bequem an der Rispe tragen läßt, gerade passend für ein Huhn oder ein paar Früchte. - Diese humane Behandlungsweise der Hühner (übrigens erst eingetreten auf Grund eines Erlasses des jetzigen Residenten) fällt besonders angenehm auf, wenn man aus Java kommt, wo die lebenden Hühner behandelt werden wie bei uns die toten, wo sie dutzendweise mit den Beinen aneinandergebunden und kopfunter an Stangen gehängt umhergetragen werden, wo solche lebendigen Bündel in weitem Bogen von Hand zu Hand oder aus einem Boot ins andere geworfen werden, als wären es Postpakete, auf denen "Achtung! Glas! Nicht werfen!" steht. (Man kann ja übrigens ähnliches schon in Italien sehen)

Bald naht ein neuer Zug, ein Schweinetransport! Da darf man nun nicht an unsere hochzivilisierten mitteleuropäischen Zustände denken: wo der Bauer hinter seinen zwei Säuen einhergeht mit einem schweren Stecken, er möcht noch gern heut zur Stadt hinein zum Metzger, aber die Säue haben gar nicht solche Eile, sie legen sich in jede Pfütze und bleiben vergnüglich grunzend darin liegen, bis ihnen das Fluchen und die Hiebe ihres gestrengen Herrn denn doch ein bißchen zu arg werden und sie sich mit lautem Jammern wieder auf den Weg machen, aber freilich nicht für lange: denn schon nach 10 Schrittchen blinkt eine neue Pfütze - nein, so geht das im wilden Bali nicht zu. Da wird für jedes Schwein ein langer, luftiger Korb geflochten, da hinein sperrt man das schwarze Scheusal; dann wird eine lange Bambusstange durch den Korb gesteckt, und schon ist der Transport unterwegs. Da liegt sie nun die brave Sau, so urbehaglich, und streckt voller Wohlgefühl drei ihrer fetten Beine zum Flechtwerk hinaus und läßt sich von 2 Leuten 1300 m und 1300 m wieder hinabtragen und unterwegs wird sie sogar noch einmal hinausgelassen zum erfrischenden Bad im Gebirgsbach. Wer an ihrer Stelle würde da nicht auch voll Behagen grunzen.

Jetzt unmittelbar hinter der Paßhöhe führt der Weg in vielen Serpentinen steil etwa 400 m hinab. Es öffnet sich eine weite herrliche Aussicht in zwei breite Kraterkessel: das Tal des Danang Boejan und das des Danang Bratan. Der erstere, ein etwa 3 km langer Kratersee, ist rechts durch die Stämme in seiner ganzen Pracht sichtbar, dicht umschlossen durch die alten zerstörten Kraterwälle. Die bis zu 2300 m aufragende vierspitzige Gunung Tabanan-Gruppe ist als ein Teil dieses Walles aufzufassen. Und Urwald, nichts als Urwald, wohin das Auge blickt; wie gepflastert mit hellgrünen und dunkelgrünen Buckeln sehen die Hänge aus: das sind die riesigen Baumkronen. Rechts erhebt sich majestätisch der Gunung Bratan fast senkrecht aus der weiten Talsohle des gleichnamigen Sees noch hoch, hoch über uns. Ein sanft ansteigender scharfer Grad verbindet uns mit dem Gipfel. Da muß also wohl auch der Weg hinaufführen. Mein "ortskundiger" Pferdetreiber bestreitet dies indes und behauptet, der Weg führe erst ins Tal hinab und von diesem wieder hinauf auf den Gipfel. Das kommt mir zwar höchst unwahrscheinlich vor, aber da ich den Weg nicht selbst kenne, muß ich mich an seine Angaben halten.

So begleite ich also Deninger noch ein Stück weiter als ich erwartet hatte. Der Urwald in der weiten Talsohle ist von einer nie gesehenen Pracht: Es ist wie ein jahrhundertealter, ein ganz ausgereifter Park: von den hunderttausend Bäumchen, die da einstmals aufschossen, alles ausfüllend und zudeckend in ihrem verzweifelten Ringen nach Platz und Oberherrschaft sind nur die edelsten, die stärksten geblieben, jetzt jeder ein gewaltiger Königsbaum, ein ganzes Gebiet beherrschend und beschirmend mit seiner mächtigen dichten Krone. Zu seinen Füßen liegen vermodernd die er einst im Kampf um die Vorherrschaft bezwungen, hier und da reckt sich noch wie der Arm eines Toten ein faulender Stamm in die Luft, rührst du daran, so greifst du in weiches Mehl. Was jetzt noch aufstreben will an junger Saat, wird niedergehalten oder im Keim getötet und nur die Totengräber werden geduldet: die Moose, Farne und Berlappgewächse, die einen weichen feuchten dunkelgrünen Teppich weben, einen trügerischen Boden voller Angeln und Fallgruben für den tastenden Fuß. So stehen sie in respektvoller Entfernung voneinander, diese Riesen, und flechten ihre Kronen ineinander, so dicht, daß kein Sonnenstrahl den Boden trifft in diesem großen Walde; es ist wie ein riesiger Dom, dessen smaragdene Kuppel von tausend starken Säulen getragen wird. Ganz still ist es in diesem Dom, kein Tierschrei, kein Vogelgesang, nur das Rucken grüner, rosaköpfiger Tauben, die hoch oben in den Kronen von goldbraunen Früchten naschen. Hier und da entdeckt das Auge wohl auch eine Blume mitten am Stamm oder in einer Nische der gewaltigen Äste, eine zarte gelbe oder eine dunkelpurpurne Blume von betäubend süßem Duft. Und dann entdeckt man noch andere seltsame Gebilde, die sich da oben allenthalben angesiedelt haben: große Farne, die ihre langen Blätter im Kreis ausbreiten, wie ein Maßlieblichen seine weißen Kronblätter, in ihrer Mitte einen tiefen Napf wie ein Vogelnest lassend. Hier und da hat solch ein Riesenfarn eine dünne Luftwurzel umfaßt, die der Baum oder einer seiner Gäste herabgeschickt hat, denn ist die Luftwurzel unter dem Farn abgefault und jetzt schwebt er in der Luft wie eine Ampel.

Plötzlich kommt Leben in die Stille: erst ein paar sonderbare unerklärliche Schreie, dann ein lautes Rauschen, Krachen und Stürzen in den Kronen: eine Herde großer schwarzer langbehaarter Affen hat uns bemerkt und sucht voll Hast das Weite. In gewaltigen Sprüngen schwingen sie sich von Ast zu Ast, stürzen von Krone zu Krone und unter ihrem schweren Gewicht rauschen und biegen sich die Zweige in einem gewaltigen Sturm.

Und wieder nach einer Weile tönt aus allen Büschen und Bäumen um uns vielstimmiges Vogelgezwitscher, ein bunter Schwarm Kleinvögel zieht gerade vorüber. Hier in den Tropen machens die meisten kleineren Vögel zur Regenzeit wie unsere Kleinvögel im Winter; was sich zur Brutzeit blutig befehdet, streicht jetzt monatelang zusammen durch den großen Wald. Viel sehr bunte Vögel sind darunter. Blutrote und ganz dunkelgelbe, aber auch manche, die uns recht bekannt vorkommen: Eine Meisenart, die fast wie unsere Kohlmeise ausschaut, kleine Laubsänger aus der Verwandtschaft der Weiden- und Fitislaubsänger und ein kleiner Specht, der unserem kleinen Buntspecht zum Verwechseln ähnlich ist. Man darf sich nicht vorstellen, daß die Vögel hier in den Tropen bunter sind als bei uns, die Waldvögel wenigstens sind es nicht, am ehesten noch trifft es bei den Vögeln der Fruchtgärten, den blütenbesuchenden kleinen Honigsaugern und Dicaeiden zu.- Aus dem Vogelschwarm, der uns begegnet, tönt hier und da ein prächtiges melodiöses Lied, es gibt unter den Gebirgsvögeln auffällig viel gute Sänger, die meisten pfeifen kurze Liedchen, die sich ganz leicht in Noten fassen oder nachpfeifen lassen, was bei europäischen Vögeln seltener der Fall ist.

Jetzt regt sichs auch hier und da in den alten Stämmen, huscht mit großer Geschwindigkeit abwärts, klettert über eine Lianenbrücke, verschwindet am anderen Stamm: das sind Eichhörnchen und Spitzhörnchen (Tupaia), die meist ein sehr verborgenes Leben führen, jetzt aber sich heute herauswagen in der Hoffnung, einen der kleinen Sänger zu erhaschen.

In der Ferne tönt lauter langgedehnter Gesang kräftiger Frauenstimmen. Melodie und Rhythmus ganz wie Priestergesang bei der heiligen Messe. Kirchenmusik in diesem erhabenen Gottesturm. Jetzt kommen sie heran: ein langer Zug von Frauen und Mädchen, die in schöngeformten Körben schwere Lasten auf dem Kopf tragen, gefolgt von ein paar Männern mit Hühnerkörbchen oder ein paar Früchten unterm Arm. Hierzulande verrichten die Männer die Feldarbeit; aber das Tragen überlassen sie den Frauen. Als die Schar uns sieht, verstummt der Gesang, man macht uns ehrerbietig Platz, aber bald darauf hallt wieder das prächtige Lied durch die Einsamkeit. Unsere javanischen Diener lachen. Ihnen, die nur die dünnen quäkenden näselnden Stimmchen ihrer Weiber daheim gewohnt sind, kommt dieser starke freie Waldgesang wahrscheinlich sehr barbarisch vor.

Am Nachmittag erreichen wir den Danan Bratan, ein See von der Ausdehnung etwa des Silsersees im Engadin, und finden dort zu unserer Überraschung ein Dorf, das erst seit einigen Jahren besteht und noch keinen Namen führt. Aus einer der Hütten tritt uns Tauern entgegen, in seiner Verwilderung von weitem ganz wie ein Menschenfresser anzuschauen; er hat ein Haus gemietet und bald sitzen wir drei gemütlich beisammen um Huhn mit Reis.

Jetzt sitze ich also hier unten und 1500 m über mir ragt der Gipfel des Gunung Bratan, auf den ich heute noch hinauf wollte! Der "ortskundige" Pferdeführer wird gerufen, und jetzt gesteht er nach einigen faulen Ausreden, daß er den Weg hinauf nicht wisse. Als ich ihn später kennenlernte, kam ich dahinter, daß er mich absichtlich irre geführt hatte, weil er die Kälte da oben nicht schätzte!

Da half nun alles Fluchen nichts, ich mußte zur Nacht hierbleiben; und da Essen und Ornis gut war, hatte ich mich bald soweit mit meinem Schicksal ausgesöhnt, daß ich beschloß, noch einen Tag hierzubleiben. Tauern, der mehrere Affen geschossen hatte, pflegte mit viel Affenliebe einen jungen angeschossenen Macacen cynomolgus; dem kleinen widerhaarigen Tierchen paßte das ewige Gepäppel- und Gehätschel gar nicht, und nach einigen Tagen ist er auch prompt eingegangen. Aber uns beiden Unbeteiligten hat er bei seinen Lebzeiten viel Vergnügen gemacht, besonders wenn er seinen Pfleger, der ihn stets am Busen wärmte, die Hosen voll machte oder die eingeflößte Milch wie Hans Huckebein in die Gegend spritzte und dazu biß und kratzte er nach Herzenslust, aber Tauern sah wie jede Mutter die Untugendheiten seines Pfleglings als die höchsten Tugenden an, und ließ ihn selbst in seinem Bett schlafen.

Von meinen Streifereien brachte ich stets ein paar Tauben mit, die eine höchst willkommene Abwechslung in unseren Küchenzettel brachte, der normalerweise lautete: Reis mit Konserven, oder: Konserven mit Reis oder: nur Reis. Im Ort konnte man noch Gemüse dazu erhalten; und so fühlte man sich bei seinen Täubchen mit Grünkohl fast wie zu Hause in Dresden.

Einmal brachte ich auch eine kleine Schlange mit; es ist erstaunlich, wie äußerst selten man Schlangen im Urwald trifft; in Europa hat man hiervon oft ganz falsche Vorstellungen. Dagegen wimmelt es von Schlangen, ungiftigen und giftigen, in den Reisfeldern (Froschnahrung).

Am Vormittag des 19. zog ich mit meiner Kolonne wieder zurück auf die Passhöhe und wählte einen luftigen Schuppen am Wege zum Standquartier. Ich wollte am nächsten Morgen von hier aus den Gunung Bratan besteigen, aber am Nachmittag brach wieder ein heimtückischer Malariarückfall bei mir aus mit heftigem Fieber. Ich war zwar am anderen Tage wieder gesund, aber doch so entkräftet, daß ich mich bescheiden mußte in der Nähe meines Lagers zu sammeln. Am Abend meldeten meine Leute, Reis und Fisch seien zu Ende, ich mußte also am 21. wieder talab. Die Vorräte der beiden anderen waren gleichzeitig zu Ende gegangen, und so treffen wir uns, gerade als ich zum Abstieg fertig war.

Von der Paßhöhe an bis nach Gitgit ist an vielen Stellen zu beiden Seiten des Weges Kaffee gepflanzt; doch trägt er erst von etwa 1000 m an abwärts Früchte, etwa eichelförmige grüne im reifen Zustand rote Gebilde, die wie Blätter überall an den Zweigen sitzen. In diesem roten, süß schmeckenden Fleisch sitzen zwei weiße Kerne, die erst nach Entfernung einer sie überziehenden Haut die graugrüne Farbe der Kaffeebohnen des Handelns erhalten. Das rote Fleisch wird von manchen Tieren, z.B. einer Schleichkatze, dem Musang sehr geschätzt: sie verzehren die ganze Frucht, und ihre Exkremente bestehen dann in großen Haufen der unverdauten Kerne; solcher Musangkaffee wird als besonders wohlschmeckend gerühmt und eifrig gesammelt. Ich bemerkte auch bei Gitgit einen solchen Haufen, für mich das einzige Anzeichen des Vorkommens von Paradoxurus hermaphroditus auf Bali.

Sehr hübsch ist die Kaffeeblüte, ein weißer Stern mit gelben Staubgefäßen und eine über und über blühende Kaffeepflanzung macht fast den Eindruck eines Blumengartens. Wir sahen hier gleichzeitig blühende Sträucher und solche mit Früchten in allen Reifestadien. Die früchtelosen Sträucher der höheren Gebirgsregion wurden in großen Mengen von Kulis talab getragen, wahrscheinlich, um sie an einem Ort mit günstigeren Bedingungen zu verpflanzen. Um es nochmals hervorzuheben: die Kaffeesträucher stehen hier am Gebirgsweg sozusagen mitten im Urwald von Urwaldbäumen beschattet.

Die nächsten Tage auf dem Schiff waren im wesentlichen dem Faulenzen gewidmet. Es gibt nichts köstlicheres, als nach 8 Tagen voll Plackerei und Entbehrungen sich einmal 12 Stunden lang ausstrecken zu dürfen und an gar nichts weiter denken zu können als an Ruhe. Wir lagen lang ausgestreckt auf dem Deck im Schatten des Sonnensegels, und ließen uns von den Wellen einlullen, die träge gegen das Schiff plätscherten.

Nachdem die zoologischen Sammlungen getrocknet, geordnet und verpackt waren (ich fand, daß ich unter anderem bereits 85 Vögel in 42 Arten gesammelt hatte), machte ich mich am 25. mit 3 Leuten wieder auf den Weg nach der Paßhöhe, während Deninger und Tauern zurückblieben, um eine Exkursion nach Kintamani, einem Gebirgsort im Osten der Insel, vorzubereiten. Meine Absicht war diesmal vor allem den Gunung Bratan zu besteigen. Schon am nächsten Tage brach ich in aller Morgenfrühe mit Addi dorthin auf. Den undeutlichen Waldpfad, der von meinem Lager aus hinaufzuführen schien, und den ich schon bei meinem letzten Aufenthalt entdeckt hatte, verfolgend, erreichte ich nach 3-stündiger stellenweise sehr mühseliger Kletterei im Farnen- und Rubusgestrüpp zu meinem großen Erstaunen einen relativ guten, anscheinend häufiger begangenen Weg, der mich in einer Stunde auf eine kleine kahle Hochfläche am Fuß des eigentlichen Gipfels führte, wo Reste von englischen Zeitungen und Konservenbüchsen verrieten, daß ein Reisender hier geweilt, vielleicht sogar sein Lager aufgeschlagen hatte. Ich befand mich hier in etwa 1800m Höhe und genoß einen prachtvollen Rundblick. Im Süden tief zu meinen Füßen das mächtige Oval des Danan Bratan, in dem sich die Spitzen der etwa 2300 m hohen Gunung Tabanangruppe spiegelten, anscheinend wie der Gunung Bratan zum Kraterrand des tertiären Vulkans gehörend, dessen Mündung jetzt der Bratansee bedeckte. Hinter dem See glänzten in weiter Ferne die Sawaks der Gegend von Tabanan, und dahinter das Meer. Im Westen lag zwischen hohen steilen Wänden eingezwängt der Danan Boejan, darüber hinaus überblickte ich den ganzen Gebirgszug, der sich im Westen der Insel auftürmt (seine höchsten Gipfel erreichten etwa 1800 m) und am Horizont standen scharf umrissen die Riesenberge von Ostjava mit dem 3400 m hohen Gunung Merapi, einem prächtigen noch tätigen Vulkankegel. Durch eine Schlucht, die nach Norden hinablief, erkannte ich den Pik von Boeleleng, der von der Nordküste aus so imponierend erscheint und dessen Gipfel jetzt tief unter mir lag; auch im Norden begrenzte das Meer den Seekreis.

Der steilste Anstieg stand mir jetzt noch bevor. Wieder trat der Weg in den Urwald ein, der allmählich seinen Charakter änderte. Rhododendronbäume und große Baumfarne nahmen an Häufigkeit zu, und die Stämme waren hier, wo außer einigen Morgenstunden beständig Nebel und Regen herrscht und die Luftfeuchtigkeit sehr groß ist von einem dichten Polster der verschiedensten Moosarten bedeckt; von den Zweigen der Bäume gingen allenthalben lange graugrüne Flechten, ähnlich denen an den Arven unserer Alpen. Auch die Farn und Lycopodienvegetation am Boden wurde üppiger. In diesem Walde waren Scharen einer großen schwarzgrauen Affenart eines Sennopitecus häufig. Nach weiteren 1 1/2 Stunden erreichte ich den Gipfel, dessen Höhe auf den Karten mit 2150 m angegeben ist. Er ist die höchste Erhebung des scharfen Grades, der einen Teil des alten Kraterwalles darstellt. Die Vegetation war hier oben völlig verändert: statt der blättertragenden Laubbäume, die sonst den Urwald ausmachen, fand ich hier einen großen Casuarinenwald, der sich den weniger steilen Nordhang tief hinabzog, und ganz den Eindruck eines deutschen Fichtenwaldes machte. Er beherbergte einen Zosterops, eine kleine Vogelart, die ich an anderer Lokalität nicht gefunden hatte, das Unterholz wurde durch Rhododendron und eine Rubusart mit wohlschmeckenden Früchten gebildet, die ich gleichfalls nur hier oben fand. Nach kurzem Aufenthalt, während dem ich einige interessante Vögel schoß, Schmetterlinge fing, Leibnizkeks aß und meine Initialen unter ein großes A.W. 1886 schnitzte, das ich an einem alten Rhododendronstamm entdeckte, machte ich mich vor den herannahenden Nebelmassen fliehend wieder auf den Rückweg und erreichte bereits gegen 1 Uhr das Lager wieder.

Der Weg, der über den Gipfel führt, stellt die kürzeste Verbindung zwischen einer Anzahl von Ortschaften im Westen und Osten dar; die Mühe des Aufstieges ist offenbar geringer als die des andernfalls notwendigen großen Umweges im Tal. Wie ich an Spuren im Wege sah, werden auch Rinder über den Berg getrieben.

Leider hatte ich am 26. meinen Apparat nicht mitgenommen, und bestieg daher am 28. den Gunung Bratan zum zweiten Mal, vor allem um Aufnahmen zu machen. Das Wetter war diesmal weit ungünstiger und wir hatten das Vergnügen, den Abstieg auf schlüpfrigem Boden im strömenden Regen zu machen.

An das Naßwerden hatten wir uns hier im Gebirge eigentlich schon gewöhnt; mit großer Regelmäßigkeit setzte der Regen täglich gegen 12 Uhr ein und hörte erst gegen 6 Uhr wieder auf. So war man jeden Nachmittag dazu verdammt, zu Haus zu sitzen und die Zeit mit Präparieren oder mit Schlafen zu verbringen, je nachdem man mehr oder weniger geschossen hatte. Das Bett oder vielmehr die Hängematte war der einzige Ort, an dem man sich vor der Kälte schützen konnte, die besonders nachts sehr empfindlich war, wo die Temperatur oft unter 10°R sank.

An den beiden folgenden Tagen regnete es fast unausgesetzt; gleichzeitig setzte ein überaus heftiger Sturm ein, der in der Nacht zum 31. so stark wurde, daß ich befürchtete, unser Schuppen könne jeden Augenblick abgedeckt oder umgerissen werden. Da jetzt keine Aussicht mehr war, in der nächsten Zeit wieder gutes Wetter für eine dritte Besteigung des Bratan zu treffen (ich hatte beabsichtigt, auf dem Gipfel Pflanzen zu sammeln), stieg ich am 1. Februar wieder nach Gitgit ab. Tags zuvor hatte ich in westlicher Richtung einen kleinen Sammelausflug gemacht, auf dem Wege, der oberhalb des Danan Beojan nach Moendoek führt. Kaum 20 Minuten von meinem Lagerplatz entfernt, bemerkte ich in den Schlamm des Weges tief eingedrückt die Spur einer mächtigen Tatze: ein Tiger war hier die letzte Nacht gegangen!

Regen und Sturm der letzten Tage hatten auf dem Wege nach Gitgit große Zerstörungen angerichtet, allenthalben der Pfad tief aufgerissen, an vielen Stellen war er vollständig abgerutscht oder durch gewaltige Stämme und Erdmassen gesperrt. Von Gitgit aus konnte ich die Küste von Boeleleng erblicken. Ein leuchtender weißer Saum rahmte die Insel ein: Brandung ! Wie wird´s wohl der Freiburg bei diesem Sturm ergangen sein, die dicht am Strande vor Anker lag!

Ich blieb einen Tag in Gitgit und übernachtete im Rasthaus; am Nachmittag des 2. Februar stieg ich nach Boeleleng ab. Als ich die ersten Häuser von Singaradja erreichte, kam mir der Träger entgegen, den ich mit einigem Gepäck am Morgen vorausgeschickt hatte. Herr, rief er schon von weitem, das Schiff ist kaputt, es hat drei große Löcher und der Herr möchte schnell kommen.

Ich wußte, daß Deninger und wahrscheinlich auch Tauern nicht in Boeleleng waren, sondern eine Tour nach Kintamani gemacht hatten. Jetzt war also das Schiff im Sturm Leck geworden, und die Leute wußten sich nicht zu helfen! Ich sah schon im Geiste all die mühsamen zusammengebrachten Sammlungen und unser Plattenmaterial mit samt dem Schiff in den Wellen verschwinden. Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß meine Stimmung bis zur Ankunft im Hafen nicht sehr rosig war. Ein Blick auf die Reede: ungeheuere Brandung, aber von der Freiburg nichts zu sehen ! Ah, da lag sie ja, wohlgeborgen auf dem trockenen Strande, umgeben von einer großen Menschenmenge. Was ist los, was ist passiert!? Ich finde Deninger und Tauern gemütlich beim Kaffee und Erdnüssen in der Kajüte sitzend. Was passiert wäre? Nun fast gar nichts, die Freiburg sei von der Brandung an den Strand geworfen worden, da infolge unglücklicher Komplikationen die beiden Anker nicht hielten, dabei sei das Steuer abgebrochen und die Schraube habe beim fortwährenden Aufstoßen des Schiffes an den Boden einen langen Schlitz in den Schiffsboden gesägt! Und das war passiert am gleichen Tage, wo das aus Soerabaja inzwischen eingetroffene Ersatzlager eingesetzt werden sollte. Eine Reparatur, durch die die Freiburg wieder seetüchtig geworden wäre! Wenn das neue Unglück nicht eingetreten wäre, hätten wir heute nach den Molukken weiterfahren können! Jetzt ist an eine rasche Reparatur nicht zu denken, das Schiff muß nach Soerabaja zurückgeschleppt werden, und unser unfreiwilliger Aufenthalt auf Bali wird sich wohl noch recht in die Länge ziehen! Zunächst gilt es, das Schiff ganz auszuräumen; wir verbringen mehrere ungemütliche Nächte im Pferdestall des Clubhauses, umgeben von all unserem Gepäck, bis wir ein passendes leerstehendes Haus finden, das einem Araber gehört und uns für einen mäßigen Mietpreis überlassen wird. Wir haben nun vier geräumige Zimmer, einen großen schönen Hof, in dem die Küche untergebracht ist, und eine prächtige Badekammer, gespeist durch das kalte Wasser einer Privatquelle, die im Hofe zutage tritt.

Man kann beinahe schwimmen in unserem Bassin! Unserem Haus gegenüber liegt die arabische Moschee; dreimal des Tages tönt vom Turm herab der melodische Lobgesang des Muezzin zu uns herüber. Man kann sich einbilden, im Lande Arabien zu sein.

Die ersten Tage im neuen Hause verbrachte ich im Bett, da eine unangenehme Blutvergiftung am rechten Bein, die wahrscheinlich durch den Biß eines Landblutegels verursacht worden war (die feuchten Gebirgswälder wimmeln von diesem ekelhaften Viehzeug) mich am Gehen verhinderte. Der darauf folgenden Langeweile verdanken diese ausführlichen Tagebuchblätter ihre Entstehung. Erst am 10.2. war ich wieder soweit gehfähig, daß ich in den Sawaks bei Boeleleng jagen konnte. - Photographische Aufnahmen von Sawaharbeit, pflügenden Bantengs und Wasserbüffeln im wilden Gestrüpp, am Strande versteckte prachtvolle architektonisch interessante Chinesengräber.

Während dieser Tage machten wir den Versuch, unser Boot durch den Dampfer "Der Speelman" der Paketfahrtgesellschaft nach Soerabaja schleppen zu lassen; der Versuch mißglückte. Die Freiburg begann in so beängstigender Weise hin und her zu pendeln, daß Deninger, der das Boot nach Soerabaja begleiten wollte,, dem Dampfer das Zeichen zum Stoppen geben mußte, um ein Unglück zu verhindern. Die Freiburg wurde auf die Reede von Boeleleng zurückgebracht; nach 8 Tagen sollte der Schleppversuch wiederholt werden, nachdem einige notwendige Vorkehrungen an der Freiburg getroffen waren (u.a. Verstärkung des Notsteuers, das beim ersten Schleppversuch sofort gebrochen war). Während dieser 8 Tage müßigen Wartens begann die Malaria bei Deninger, der sie noch immer nicht ganz losgeworden war, einen gefährlichen Charakter anzunehmen. Er bekam jeden Tag einen heftigen Fieberanfall, der ihn ungemein schwächte, und gegen den er sich nicht wehren konnte, da er kein Chinin vertrug. Schließlich sank seine Temperatur nicht mehr unter 38,5o; sein Zustand wurde äußerst bedenklich; nur schneller Klimawechsel konnte jetzt noch einer Katastrophe vorbeugen. Tauern schaffte ihn nach dem Rasthaus in Gitgit, 3 Stunden von Boeleleng gelegen in prächtiger gesunder Gebirgslage mit ganz europäischem Klima. Hier erholte sich Deninger verblüffend schnell; als ich ihn nach 2 Tagen am 18. Januar (Februar) besuchte, sahen seine Hände schon wieder ganz rosig aus, und die Leichenfarbe von seinem Gesicht war verschwunden; er saß auf der Veranda, las und fing Schmetterlinge!

Am 20. war er wieder soweit bei Kräften, daß er die Freiburg nach Soerabaja begleiten konnte. Diesmal ging das Schleppen ganz nach Wunsch und mit halber Kraft, 6 Meilen pro Stunde, glitt der Speelman mit unserem Schifflein nach Westen davon.

Voraussichtlich konnte Deninger mit dem geheilten Boot in 14 Tagen wieder eintreffen; diese Zeit wollten wir beide Zurückgebliebenen zu einer Reise nach Kintamani, im Osten der Insel benutzen, wovon uns Deninger so viel vorgeschwärmt hatte. Wir wollten mit dem Aufenthalt dort eine Besteigung des Vulkans Gunung Bator und des höchsten Berges der Insel, des 3200 m hohen Gunung Agung verbinden.

Am 21. Januar fuhren wir im Wagen bis ans Ende der Fahrstraße zur Ortschaft Tamblang, vorbei an interessanten Tempeln, die für später eine schöne photographische Ausbeute versprachen. In Tamblang nahmen wir Träger und Packpferde, und nun begann auf gutem Weg der Anstieg zur Paßhöhe. Lange Zeit gings durch Urwald, der rechts und links der Straße fruchtbaren Kaffeeplantagen hatte weichen müssen. Je höher wir kamen, desto armseliger wurden die Dörfer, unter der schmutzigen Bevölkerung viel Chinesen und Chinesenmischlinge; die in mehreren dieser Ortschaften aufgerichteten staatlichen Opiumsverkaufsplätze deuteten auf einen starken Verbrauch dieses teueren Genußmittels.

In der Monopolisierung des Opiumverkaufs (Opium = malay. madat) liegt eine geschickte Besteuerung des Volkes; auf Bali allein sollen bei etwa 120 Verkaufsplätzen pro Monat etwa 100 000 Gulden Einkommen, wovon die Hälfte Reingewinn ist! Auf Java ist in neuerer Zeit der Preis des Opiums bedeutend erhöht worden und beträgt jetzt etwa das dreifache des Balipreises. Es geschieht dies, um den Opiumgenuß einzuschränken, sagt die Regierung. Offenbar von dem gleichen idealen Gesichtspunkt ausgehend richtet dieselbe Regierung auf Inseln, wie Flores und Wetar, Opiumverkaufsstellen ein, auf denen das Laster bis dahin noch unbekannt war.

Die Opiumverkaufsplätze sind sehr säuberlich ganz aus Bambus gebaute Häuser, die unter der Leitung eines javanischen Mantri stehen. Das Opium wird in verschlossenen Blechtuben verkauft. Es ist erstaunlich, wie selbst ganz arme Leute ihre letzten Sparpfennige hergeben, für einen flüchtigen Opiumrausch. Sie scheuen selbst vor so großen Ausgaben wie 1-2 Rijksdaler (4-8 M) nicht zurück. Die Opiumtuben werden viel als Münze verwertet. Chinesische Kulis werden oft für geleistete Dienste damit bezahlt. Der Mantri ist verpflichtet, über jeden Käufer Buch und Statistik zu führen, so daß die notorischen Raucher alle bekannt sind. Ein Mantri erzählt uns mit Stolz, daß er mehrere solche durch ihre Laster bereits ganz zugrunde gerichtete Leute durch ein von ihm erfundenes Mittel geheilt und entwöhnt hatte, es wundert mich, daß er von der Regierung für diese falsche Auffassung seiner Beamtenpflicht noch nicht gemaßregelt worden ist.

Der Weg nach Kintamani dehnte sich endlos; er führte, wie die meisten Wege auf Bali, auf einem Kamm, nicht im Tal, da diese sehr tief eingeschnitten und durch sehr dichten Pflanzenwuchs unzugänglich zu sein pflegen. So überwand auch die Straße den Gebirgskamm, der die Insel in Nord und Südbali teilt, nicht in einem Paß, sondern führte über einen Gipfel, 1650 m hoch. Dort oben liegt ein elendes Dörfchen, Koeta Dalem, die höchste Ansiedlung auf Bali, nur als Marktplatz von Bedeutung, da hier an gewissen Tagen die Händler und Gemüseweiber von Nord und Süd sich einfinden und ihre Waren eintauschen und feilbieten. Wir erreichen diese Übergangsstelle erst lange nach Einbruch der Dunkelheit; bei etwa 1100 m waren wir aus dem Waldbereich getreten und sahen nun ein uns ganz neues Landschaftsbild: der Gebirgskamm fast völlig baumlos, war mit Allang-Allang und kurzen Grasmatten bedeckt, hier und da durch große Dornbuschpartien unterbrochen; der Eindruck glich dem einer Landschaft der Voralpen oberhalb der Waldgrenze, die Ähnlichkeit wurde noch vermehrt durch das Geläut weidender Kuhherden (Bantengs) mit verschieden abgestimmten Holzglocken, und einzelne alte Kasuarien, die die Stelle der Arven in unserem Gebirge einnahmen. Einbrechender Nebel und Dunkelheit verhüllten uns bald das reizvolle Bild, und nur mühsam ging es bei Fackelschein vorwärts. In der Dunkelheit stürzte ein Pferd und streute seine ganze Last umher, aber glücklicherweise gings ohne Schaden ab. Endlich, gegen 9 Uhr, nach einer halben Stunde sanften Abstiegs nach Süden, erreichten wir Kintamani und bald empfing uns der wohlverdiente Schlaf in den weichen warmen Betten des Pasang Grahan (Rasthaus).

Wir wußten, daß uns am nächsten Morgen ein prachtvoller Anblick bevorstehen würde und wachten instinktiv kurz vor Sonnenaufgang auf. Als wir die Fensterläden aufrissen lag vor uns eine imposante Gebirgslandschaft. Gegen den fahlgelben Morgenhimmel zeichneten sich schwarz drei Vulkanpyramiden ab, in gleichmäßiger Steigerung bis zur Spitze des Gunung Agung, des höchsten Berges der Insel (3200 m). Genau im Osten war in weiter Ferne der Rindjani auf Lombok sichtbar, mit 3600 m der höchste Gipfel des malayischen Archipels. Von der nächsten Spitze, dem etwa 1600 m hohen Gunung Bator, der in Luftlinie nur wenige Kilometer entfernt war, trennte uns ein fast senkrecht abfallender, etwa 400 m tiefer Graben, der sich rings um diesen Kraterkegel zieht; denn Kintamani liegt auf einem ungeheueren Ringwall, dem Rest des ursprünglichen, vor langer Zeit eingestürzten Vulkankegels, an dessen Stelle sich jetzt der weit kleinere Gunung Bator aus der Einbruchsmulde erhoben hat. Von der bedeutenden Fähigkeit dieses Vulkans zeugten mehrere gewaltige Lavaflüsse, die zum Teil ganz neuen Datums waren und weite Strecken des Grabens bedeckt hatten (der jüngste Ausbruch von etwa 1900, hat das Dorf Bator erreicht und einen Teil des schönen Tempels zerstört, ebenso sind damals fast sämtliche Fruchtgärten dieser Ortschaft, die auf längst verwitterter Lava einen bekanntlich sehr fruchtbaren Boden angelegt waren, zerstört worden. Zum Teil wird der Graben durch einen großen See ausgefüllt, dessen Längsdurchmesser etwa 5 km beträgt. Als Kratersee ist er natürlich abflußlos; die Balier glauben, daß durch sein versickerndes Wasser alle Flüsse Balis gespeist würden und haben ihn deshalb für sehr heilig erklärt. Das Wasser, durch das die Sawah gespeist wird, ist natürlich ein überaus wichtiges Element; unzeitige Dürre kann die gesamte Reisernte vernichten. Die Pura in Bator, in der die Götter des Sees verehrt werden, ist daher ein Nationalheiligtum und empfängt ihre Opfergaben aus allen Teilen des Landes. - Der See ist sehr fischreich und gewährt 4 Fischerdörfern an seinen Ufern Nahrung; natürlich sind die Fische erst durch den Menschen eingesetzt worden.

Wir verbrachten in Kintamani (+ 1300 m) 8 Tage. Wie auf der Nordseite, so ist auch auf der Südseite der Kamm völlig baumlos, nur in den Schluchten und Tälern findet sich Wald, vorwiegend lichte Casuarienwälder mit derselben Fauna, wie ich die auf dem Gipfel des Gunung Bratan fand. Eine Besteigung des Aschenkegels des Gunung Bator von der Westseite bot keinerlei Schwierigkeiten; nur in der Nähe der Krateröffnungen waren die aus zahlreichen Fumarolen ausströmenden Gase sehr lästig. Die Stellen, die beständig von frisch austretendem Schwefeldampf bestrichen werden, waren von einer niedrigen Moosart bedeckt.

Flora und Fauna des grasbedeckten Gebirgskammes zwischen 1000 und 1650 m zeigte nahe Verwandtschaft mit Gebirgsformen gemäßigter Zonen. Aus der Flora erwähnte ich ein Veilchen (Viola) und eine Glockenblume (Campanula).

Mit vielen Bälgen, Schmetterlingen, belichteten Platten und gefüllten Pflanzenmappen traten wir am 2. März den Rückmarsch an. Wir blieben noch 3 Tage in Taneblang als Gäste des Dorfoberhauptes (Klian), hauptsächlich ethnographischer Studien halber, worüber später die Rede sein soll, wenn ich die ethnographischen Themen im Zusammenhang behandle.

In Boeleleng angelangt fanden wir einen Brief von Deninger vor, in dem er uns mitteilte, daß die Schleppfahrt ganz nach Wunsch verlaufen sei, die Reparatur aber ziemlich langwierig und umfangreiche werden würde (auf der Marinewerft in Soerabaja); er selbst habe seine während unseres gemeinsamen 3-wöchigen Aufenthalts in Soerabaja in Angriff genommenen paläontologischen Untersuchungen in Südostjava (Feststellung vorterziärer fossilführender Sedimente) fortgesetzt. So blieb uns Zeit, die im stillen seit langem geplante Reise nach Südbali vorzunehmen. Sollten wir doch noch nach den Aussagen aller balikundigen die echte Aturan Bali, die gute Balisitte erst kennenlernen. Die Nachricht, daß am 11. März eine große Leichenverbrennung in Pandang stattfinden werde, trieb uns zu schleunigem Aufbruch.

Wir mußten zum zweiten Mal den Weg machen, den wir erst vor wenigen Tagen zurückgelegt hatten; die erste Nacht verbrachten wir beim Mantri in Kembangsari, brachen dann früh am Morgen auf und marschierten den ganzen Tag über Koeta delem und Kintamani bis gegen 9 Uhr abends, wo wir in einem kleinen Dörfchen am Flusse des Gunung Agung in einem sauberen Häuschen uns zur Ruhe begeben konnten. Die Eingeborenen pflegen auf sauber geflochtenen Bambusmatten zu schlafen, die über eine höhere Bettstelle gelegt werden, ein ziemlich unbequemes Lager für denjenigen, der es nicht gewöhnt ist. Wir führten deswegen stets auf derartigen Reisen unsere Hängematten mit uns, sowie für jeden für uns zwei wollene Decken, da es nachts im Gebirge empfindlich kalt ist.

Eigenes Geschirr und Besteckt braucht man eigentlich nirgends, denn zu unserem stets erneuten Erstaunen kamen selbst in den abgelegensten Gebirgskampongs Teller, Gläser, Messer, Löffel und Gabel zum Vorschein, so oft uns die Leute bewirteten. Und das tun sie stets sofort, sobald sie sehen, daß man nach einem längeren Marsch sich für kurze Zeit in der Ortschaft aufhalten will. Dann kommt mit vielen Bücklingen und allerhand balinesischen Ehrenbezeugungen und demütigen Redewendungen der Klian oder sonst ein Vornehmer des Ortes und bittet um die Ehre, uns bewirten zu dürfen. Wir werden dann auf die Veranda geführt (wenn es das Haus eines Vornehmen ist, die häufig nach Aturan blanda, "im holländischen Stil" gebaut sind), schnell werden ein paar Stühle herbeigeholt und es gibt die unvermeidliche "schwarze Flüssigkeit", (wie wir sie nannten, um in unserem Gespräch nicht verstanden zu werden), Kaffee, der in der Tasse aufgegossen wird und demgemäß sehr stark zu sein pflegt, ohne Milch, denn Milchwirtschaft kennt der Balier nicht. Dazu irgendein Chinesengebäck, das aus Singapore importiert wird und mit Reismehl gebackene oder in Kokosöl (Minjak klappa, das allein gebräuchliche Bratfett) geröstete Bananenscheiben; beides äußerst wohlschmeckende Gerichte. Dann Früchte, an denen die Kebons (Fruchtgärten) so reich sind: Ajeruk, eine kindskopfgroße äußerst saftige und erfrischende Zitrusart (enala sekali!), Mangostin, Duku und Sala. Wohl auch englische Cakes von Huntley und Palmers, die ihren Weg in die wildesten Gegenden finden und die wir selbst bei einem Siamesen im Peraker Gebirgsurwald antrafen, der nur mit Sakais Handel treibt.

Das Gespräch mit unseren freundlichen und intelligenten Wirten, die je nach ihrem Range auf einem Stuhl Platz nehmen, (die Mitglieder der drei oberen Kasten) oder auf einer Matte hocken und Sirih oder Tabak kauen, nimmt gewöhnlich bald seine Wendung dahin, daß wir ihnen von den Wunderdingen in Europa, speziell tanah Djerman, erzählen. Oft müssen wir sie zunächst darüber aufklären, daß Europa und Java nicht identisch sind; dann erfahren sie zu ihrem großen Erstaunen und zu ihrer sichtlichen Befriedigung, daß es in Europa viele Länder gebe, die größer und mächtiger seien als tanah blanda, Holland, daß unser Land z.B. 10 mal größer sei (wir sagen nur 10 mal, um nicht den Anschein zu erwecken, als schnitten wir auf)

(Ende des handgeschriebenen Tagebuches)

Aus dem 3 Bericht der Expedition:
Da der unweit im Südosten sich auftürmende Gunung Agung, mit 3200 m der höchste Berg der Insel, die gleiche Vegetation trug, wie der Steilabfall des Ringwalles, nämlich einen lichten Kasuarienwald, so glaubten wir von seiner Besteigung absehen zu können. Seine Silhouette hob sich bei Sonnenaufgang prachtvoll vom Morgenhimmel ab, wenn der Sonnenball hinter dem Rindjiani, dem höchstem Berge des indischen Archipels (3600 m) im fernen Osten aufging. Am 29 Februar traten wir den Rückmarsch an. Wir verbrachten 3 Tage in Tamblang als Gäste des Klian (Dorfoberhaupt), der uns zu Ehren ein Theaterstück, das Götterspiel Parva, aufführen ließ. Die balinesischen Theaterstücke sind Opern, bei denen der Gamelan die Gesänge begleitet.
Die Bühnensprache ist das Kawi, eine uralte Mischsprache aus Sanskrit und Altjavanisch, die vor etwa 600 Jahren beim Eindringen der Hindureligion auf Java entstanden ist. Sie diente und dient noch dichterischen und religiösen Zwecken, wird aber heute nur noch von wenigen verstanden. Die Frauenrollen werden durch Männer dargestellt. Die Theaterkleidung unterscheidet sich von der Festkleidung im wesentlichen nur durch eigenartige blumengeschmückte Helme. Auftretende Ungeheuer werden durch Masken dargestellt.
Bei unserer Rückkehr nach Bueleleng fanden wir einen Brief von Deninger vor, indem er uns mitteilte, daß die Reparatur der "Freiburg" noch längere Zeit in Anspruch nehmen würde. Somit blieb uns Zeit zu der schon seit langem geplanten Reise nach Südbali.

Leichenverbrennung
Wir erreichten nach zwei anstrengenden Marschtagen den Ort der Leichenverbrennung in Pendang wenige Stunden vor Beginn der Feierlichkeit. Es besteht auf Bali die Hindusitte, die Leichen zu verbrennen, und zwar geschieht es auf Grund alter Vorschriften drei oder mehr Jahre nach dem Tode. Durch das Verbrennen wird die Seele frei und kann nach Indraloka eingehen, so daß dies ein Freudenfest ist. Es ist mit beträchtlichen Unkosten verbunden auch in seiner einfachsten Form, so daß ganz arme Leute begraben bleiben. Die Verbrennungsfeierlichkeiten in Pendang waren schon in ziemlich großen Stil gehalten, da es sich um den Vater des Pungawa. des Distrikthauptes, und einige vornehme Frauen handelte. Jeder, der wollte, war zum Fest geladen, viele Gamelans wurden gespielt, und in einer besonderen Halle wurde den ganzen Tag Kaffee und Tee gratis ausgeschenkt. Zur Belustigung der Gäste wurde Gambuch, eine Pantomime, aufgeführt. Dann kam das Mittagessen, zudem alle geladen waren. Ca. 5000 Menschen wurden in einzelnen Abteilungen nacheinander gespeist. Hunderte von Matten wurden hingelegt und auf jede eine Reisschüssel mit den nötigen Zutaten gestellt. Etwa 10 Menschen nahmen auf jeder Matte Platz. Derweilen verrichtete ein Priester (Pandanda) Gebete vor dem weiß ausgeschlagenen Hause, indem die Leichen aufgebahrt waren, umgeben von Opfern und Schmucksachen. Dann wurden die Leichen auf den Wedah gebracht. Es ist dies ein Turm von beträchtlicher Höhe (oft 20 m), der auf einem breiten Bambusgestell steht. Er ist leicht, aber fest gefügt, so daß er ganz schief stehen kann. In halber Höhe ist ein Kämmerchen, in das die Leiche gelegt werden. Darüber sind 11 pagodenartig sich verjüngender Dächer. Der Turm ist weiß mit Goldflittern und Spiegeln. Nunmehr setzt sich der lange Festzug in Bewegung, der zum Festplatz zog und dort den Verbrennungsplatz dreimal umzog. Zuerst kamen zahlreiche Weiber mit zahlreichen Opfern und Weihwasser und Schmuck, dann zwei kleine Wodahs, die nur zum Schmuck dienten. Zum Schluß kam der große Turm mit den Leichen, bei denen ein Wächter hockte. Unten stand der Pungawa mit seinem Sohn. Ca. 200 Mann trugen den Wadah. Vor ihm her gingen zwei Padandas mit Töpfen voller Kupfergeld und streuten es unter die Menge. Auf halben Wege warfen sich eine Menge Männer mit offenen Haaren dem Wadah entgegen und versuchten denselben aufzuhalten, so daß er oft zurückweicht oder nach rechts und links gedrängt wird. Oft kippte er halb um, so daß die Leichen festgehalten werden müssen. An der Verbrennungsstelle werden die Leichen heruntergeholt und in eigenartige Särge gelegt. Diese haben die Gestalt von Kühen; sie sind weiß und aus Holz gemacht. Je nach der Kaste der Toten werden auch andere Tiere verwendet, meist Fabeltiere. Nun begannen langwierige Zeremonien der vielen Priester und Priesterinnen, die die Leichen mit Weihwasser begossen. Erst bei Sonnenuntergang wurde Holz unter den Kühen aufgestapelt und angezündet.
Spät am Abend, es war etwa Mitternacht, begann eine Theateraufführung bei Lampenbeleuchtung. Das Stück hieß Tjalon Arang und dauerte bis Morgens um 6 Uhr. Nachdem um die Mittagszeit wieder alle Leute gespeist wurden, bewegte sich ein großer Festzug von Männern und Frauen nach der Verbrennungsstelle, wo wir jetzt drei Katafalke stehen sehen. Sie sind auch weiß mit Goldflittern und Spiegeln. Auf ihnen liegen die bei der Verbrennung übrig gebliebenen Knochenreste. Nach einigen Zeremonien wurden die Katafalke zum Flusse getragen und die Asche der Toten in seine Fluten versenkt. Damit war die Feier beendet, von der ein großer Teil auch kinematographisch aufgenommen wurde.
Den Vormittag hatten wir zu einem abenteuerlichen Ritt auf schwierigem Gebirgspfad nach Besakih verwendet. Dort ist der eine der 6 heiligsten Balis. Er besteht aus einer sehr großen Zahl uralter Pagoden aus Holz und macht einen sehr imposanten Eindruck. Nunmehr verließen wir Rondang, um eine Rundtour durch Südbali zu machen, auf der wir einen großen Teil der architektonischen Schätze Balis zu sehen bekamen. In diesem reichen Lande reiht sich Ortschaft an Ortschaft, und nur selten führt der Weg durch die Sawahs. Überall sieht man prachtvolle Tempel, Toro und Häuser.

Hahnenkampf
Kurz nach Rondang kamen wir an eine hohe Terrainstufe, von der aus man einen prachtvollen Überblick hatte; um die Mittagszeit erreichten wir Klungkung und am Abend Gianyar, wo der alte Radja Dewa Mangis regiert. Wir blieben den folgenden Tag in Gianyar, und bewunderten die Tempel und besonders den Palast (Puri) des Radja. Wir besuchten auch den Radja, einen würdigen alten Herren, der schon viel in seinem Leben durchgemacht hat. Den folgenden Tag ritten wir nach Blahbatu, wo sich eine sehr schöne alte Poera befindet. Um die Mittagszeit trafen wir dann in Ubud ein, wo ein sehr reicher Unterfürst des Dewa Mangis regiert. Sein Titel ist Tjokorda Gdé. Wir kamen hier in einen großen Festtrubel hinein, denn der Tjokorda hatte gerade seinen neuen, unglaublich prächtigen Tempel eingeweiht, dessen Erbauung sein Lebenswerk gewesen. Die eigentlichen Festlichkeiten waren schon vorbei und nun wurden noch eine Woche lang Hahnenkämpfe veranstaltet. Die Hahnenkämpfe sind der wichtigste Sport der Balier, und wie zu großen Pferderennen bei uns waren hier alle Vornehmen von Nah und fern zusammengekommen. Hunderte von Menschen fanden wir an dem überdachten Hahnen-Kampfplatz. Auch der Dewa Mangis war da. Wir erhielten hier interessante Einblicke in die an balischen Höfen übliche strenge Etikette. Alle Leute waren mit prächtigen Seidengewändern angetan und trugen wertvolle Krise. Bald fingen die Hahnenkämpfe an, nachdem die einzelnen Hähne sorgfältig geprüft und Wetten abgeschlossen wurden. Bei den Wetten werden sehr große Summen umgesetzt. Die Kämpfe selbst spielen sich sehr schnell ab. Die Hähne bekommen scharfe Messerchen an die Sporen gebunden und werden unter allerlei Zeremonien aufeinander losgelassen. Nach der ersten Verwundung werden die Hähne durch Baden erfrischt und der Kampf fortgesetzt, bis der eine Hahn unterlegen ist. Bis zum Tode wird nicht gekämpft und schwer verwundete Hähne werden geschlachtet.
Kurz nach Einbruch der Dunkelheit wurden die Kämpfe abgebrochen und nun konzentrierte sich das Interesse der Volksmenge auf die zahllosen Spieltische, die in kleinen Buden auf dem Kampfplatz aufgestellt wurden. An vielen wurde um Kopengs (1/6 ct.) an anderen um Ataks (200 Kopeng) als Einheit gespielt und schließlich an anderen um Ringits (2,50 fl.). Die ganze Nacht wurde durchgespielt. Unser Gastgeber, der Tjokorda Ubud versah uns übereichlich mit Speisen, für den Abend Eier, zwei Enten, Reis und eine gebratene Schweinskeule. Am Nachmittag des folgenden Tages fuhren wir nach Denpasar (zu Deutsch: drei Pfeile), wo wir Herrn Gründler, den Begleiter Dr. Elberts auf der Sundaexpedition, kennenlernten, der sich schon ein Jahr in Bali aufgehalten hatte und uns in liebenswürdiger Weise viel interessantes in Denpasar zeigte.

Der hypnotische Sangian Tanz
(Aus einem Brief Stresemanns an seine Schwester:)

Mansela (Ceram) 16.Juni 1911.
Liebe Schwester!
Wie habe ich Dir doch so lange nicht geschrieben! Und Du hast immer wieder mit ein paar Zeilen an mich gedacht. Du glaubst gar nicht, wie mich das jedesmal freut, hier im Urwald. Wie wünschte ich doch, daß Du einmal einen Einblick tun könntest in all das Seltsame (uns jetzt so natürliche und selbstverständliche!), das uns täglich umgibt. Aber nichts ist schwerer zu schildern als das Alltägliche. Und dann reizt mich dieses Ceram so gar nicht. Es gibt hier viele unbekannte Vögel, das ist wahr. Aber alles andere... Meine Gedanken schweifen immer und immer wieder nach Bali zurück. Wie oft war ich dort glücklich! Glücklich wie Kinder es sind, die im andächtigen Lauschen alle Wunder und Abenteuer aus Tausendundeinernacht sehen und miterleben! Das folgende Erlebnis gehört zu denen, an die ich oft zurückdenke:

Wir verlassen die schwüle Veranda des kleinen ungemütlichen Rasthauses und treten hinaus auf die Straße. Der Mond scheint hart und tot über die weite Stadt mit ihren ungezählten elenden Lehmhütten, die nur schlecht versteckt sind hinter den Straßenmauern und dem Wald von Kokospalmen, deren schlanke Wipfel sich rings am hellen Nachthimmel abzeichnen. Weit und breit kein Mensch; die Balier sitzen schon längst in halblautem Gespräch um die Feuerstätten. Nur aus der Kaserne ertönt noch lautes Lärmen. Rechts jenseits einer kahlen Halde zeigt uns unser Begleiter und Führer, ein Deutscher Ethnograph, die drohend aufragenden Trümmer des Königspalastes, der durch das Bombardement von 1906 zerstört wurde. Wo jetzt das Unkraut über zerfallende Steine wuchert, dehnten sich einst die Prunkgebäude dieser Hochburg balischer Kunst. Hier und dort stößt wohl der Fuß noch an einen köstlich geschnitzten Säulensockel, oder einen Riesenwächter aus Karangestein, dem die Soldateska den Kopf abgeschlagen hat. -
Jenseits der Brücke biegen wir in eine schmale Seitengasse ein. Der Schatten der hohen Lehmmauern fällt schräg auf unseren Pfad, so daß wir gleichsam tastend vorwärts gehen müssen, um nicht in den allenthalben lauernden Löchern und Gräben zu versinken. Man merkt es: in diese Gegend hat sich noch nie ein holländischer Ambtenaar verirrt !
Nach längerem hin und her weist uns Gründler eine schmale Tür; wir folgen ihm in einen Hof, in dem einige schwelende Kerzen schwaches Licht verbreiten. Im Hintergrund sind kniende Frauen damit beschäftigt, duftende Blumen und allerhand Speisen vor dem Haustempelchen auszubreiten; mit all ihren Gedanken bei dem heiligen Werk, beachten sie unser Eintreten nicht. Die Leute hier, erklärt uns Gründler, gehören zur Süngukaste,, deren Leben dem Dienste der Götter gewidmet ist; obgleich nicht Priester, kann das Familienhaupt doch alle Weihen vornehmen, die sonst nur dem Ida Pedanda vorbehalten sind. Sehen Sie, da kommt der Alte gerade!" Zur Haustür heraus bückt sich eine hohe würdige Gestalt, und tritt mit herzlichen Grußworten auf uns zu. Sein Äußeres unterscheidet ihn sofort vom gewöhnlichen Balier;
Das ergrauende Haar mit der großen roten Blume darin fällt ihm halblang auf die Schultern herab, den Oberkörper trägt er frei nach Priestersitte. Es hilft uns nichts: Wir müssen auf der Matte Platz nehmen und Kaffee schlürfen, dazu gebratene Bananen und allerhand süßes Backwerk essen, denn so gebietets die Sitte dieses gastfreien Volks.
Unterdessen sind auch die beiden Kinder aus dem Haus gekommen, die heute wie allabendlich der Göttin zu Ehren tanzen sollen und schmiegen sich zärtlich, wie kleine Mädchen, an ihren alten Freund Gründler, der sie allerhand Allotria lehrt. Es sind Jungen im Alter von etwa 9 Jahren, mit den hübschen orientalischen Gesichtern und den weichen Bewegungen, wie sie den Balikindern eigen sind.
"Sie haben wirklich Glück, wendet sich Gründler an uns, ich höre soeben, daß heute Abend Sangian getanzt wird. Das ist der interessanteste hypnotische Tanz, von dem ich Ihnen schon erzählte."
Wir beiden reisten hier in Südbali in der Tat von Ereignis zu Ereignis. Vor wenigen Tagen noch hatten wir die prunkvolle Leichenverbrennung in Pendang mit angesehen, dann waren wir Gäste des mächtigen Djokarda Ubud gewesen, der mit der Einweihung seines goldfunkelnden Tempels achttägige Festspiele verband. Und hier in Denpasar kamen wir gerade zum Sangian.
Alles ist jetzt mit den Vorbereitungen beschäftigt.
Die Tanzknaben suchen ihre Goldhelme hervor, wie sie stets zu Götterdarstellungen gebraucht werden, ein eigenartiger Kopfputz, dessen Form entfernt an altgriechische Motive erinnert, sehr kunstvoll aus vergoldetem Leder gearbeitet. Sie geben sie den Frauen, die sie mit Blumen schmücken und vor dem Stuhl der Gottheit niederlegen. Einige Mädchen machen sich damit zu schaffen, die Kinder zum Tanze zu putzen; sie erhalten seidengewebte Frauengewänder, und unter die Ohren werden ihnen die goldenen Ohrpflöcke gebunden, wie sie die vornehmen Frauen im Ohr tragen; die Fußknöchel schmücken schwere Silberringe. Denn die Kinder sollen als Göttinnen tanzen.
Eine große Schar von Frauen und Mädchen hat sich unterdessen eingefunden, alle in Festgewändern und während sich der Alte und zwei greise Frauen am Dewastuhl zu schaffen machen, die Opfer mit Weihwasser besprengen und Weihrauch in kleinen Schalen entzünden, kniet die Schar vor dem Altar nieder, dicht hintereinander gereiht, zu vorderst die beiden Kinder.
Bald herrscht lautlose, feierliche Stille. Eine der Matronen stellt vor jeden Knaben eine glimmende Weihrauchschale, und nach dem auch sie sich niedergelassen hat, heben die Frauen den uralten heiligen Sangiangesang an, dessen Worte, der Kawisprache entstammend, heute nicht mehr verstanden werden. Eine Viertelstunde, vielleicht eine halbe Stunde lang singt der Chor unablässig. Dieselbe melodiöse Weise in raschem Tempo, und die Kinder mit vorgebeugtem Oberkörper hockend, starren unausgesetzt in die Glut, während der betäubende blaue Dunst sie umfängt. "Sehen Sie! Sehen Sie !" flüstert uns Gründer aufgeregt zu, der neben uns in der dunklen Ecke sitzt. Sonderbar! Die Knaben beginnen langsam, kreisende Bewegungen mit Kopf und Oberkörper auszuführen. Nach einer Weile nimmt diese Bewegung rasch an Stärke zu; schließlich geht sie in Raserei über. Mit willenlos hängendem Kopf und fliegenden Haaren, beschreiben ihre Leiber große Kreise, immer schneller, immer rasender. Ein Wunder, daß sie nicht mit dem Gesicht in das glühende Harz geraten. Ihre Augen sind fast geschlossen, ihr Gesicht hat den Ausdruck von Träumenden angenommen. Plötzlich ein jäher Ruck: mit furchtbarer Gewalt wirft sich das Kind, dessen kreisende Bewegung stärker war, rückwärts und wird mit Not von der hinter ihm hockenden Frau aufgefangen. Andere Frauen kommen dazu und bemühen sich um den Knaben, dessen lebloser Körper jetzt im Starrkrampf verharrt, mit großer Anstrengung versuchen sie, seine Knie zu strecken, dann tragen sie ihn beiseite. Mittlerweile haben auch Katuts ekstatische Bewegungen ihren Höhepunkt erreicht; und infolge der Unachtsamkeit der Frau, die ihn auffangen soll, schlägt plötzlich sein Kopf mit großer Gewalt hinterrücks zu Boden. Gründler ist sehr erregt, denn Ketul ist sein kleiner Freund, aber die Frauen zeigen nicht die geringste Spur von Mitleid oder Besorgnis.
Der Gesang ist jetzt verstummt. Die alte Frau nimmt vom Dewastuhl eine Schale mit Weihwasser, worin heilige Melatiblumen liegen und benetzt damit die Lippen der Schläfer, und alsbald löst sich die Starre der Körper und langsam kehrt das Leben in die Glieder zurück. Wir sehen jetzt, wie die Alte leise Fragen an die Kinder richtet, und wir nach langem Warten deren Lippen eine Antwort zurück lispeln. Es muß das etwas bedeutsames gewesen sein, denn alsbald erheben sich alle und begeben sich, voran die beiden Frauen mit den schlummernden Knaben, hinüber jenseits des Weges zum Tanzplatz.
Was haben die Kinder gesagt? fragen wir den alten Vater, der mit uns zurückgeblieben ist. "Sie nannten den Namen der Göttin, die jetzt von ihrem Körper Besitz genommen hat. Es sind zwei Göttinnen, die sehr gut tanzen!" "Die Göttinnen, deren es viele gibt, tanzen nicht gleich gut", bemerkt uns Gründler dazu; "und je nach dem Namen, den die Knaben nennen, vermögen die Leute vorauszusagen, wie sie tanzen werden. Mir versicherten die Balier, daß die Kinder zuweilen noch niemals den Namen der Göttin, den sie im Tanzzustand nennen, hätten aussprechen hören."
Nach allgemeiner Überzeugung sind es nicht die Kinder, die jetzt tanzen und reden werden, nein, mit dem Augenblick, wo das Bewußtsein der Wirklichkeit von ihnen geschwunden ist, ist es die zu den Menschen herabgestiegene Göttin selbst, die sich den Gläubigen mitteilt. Heilig ist jetzt die körperliche Hülle, in der sie wandelt, heiligend ihre Berührung. "Kein wildes Tier wird jetzt den Kinder ein Leid zufügen, kein Tiger, kein Hund, kein Affe" erklärt uns der Alte. "Der Mensch, der sie ungläubig anrührt, wird sterben!"
Auch wir begeben uns jetzt zum Tanzplatz hinüber. Es ist ein großer von einem Spitzdach überdeckter Plan. Die vier Seiten sind schon von Menschen dicht besetzt, auf der einen sitzt die Schar der blumengeschmückten Frauen, mit den noch immer schlafenden Kindern, auf der anderen ist ein Gamelan aufgestellt, dahinter hockt ein starker Männerchor, der Gamelan muhut. Die beiden übrigen Seiten sind von den Zuschauern eingenommen, darunter viele kleine possierliche Buben, deren ganze Kleidung in einem Amulett oder einer langen Stirnlocke besteht. Für uns drei Aians hat man rasch aus Kisten eine Sitzgelegenheit geschaffen, in der nähe einer zylinderlosen rußenden Lampe, die den Raum in reizvollem Halbdunkel läßt.
Es beginnen die dumpfschwingenden Mitteltöne des Gamelan, die Alte richtet die Kinder auf und führt abermals das geweihte Wasser an ihren Mund. und während gleicherzeit das Leben in ihre Glieder zurückströmt, tun sie einen langen, langen Zug. Dann richten sie sich plötzlich, noch schlaftrunken, auf zum ersten Schritt. Da setzt der Gamelan laut, hinreißend ein, und der Frauenchor hebt an, eine der heiligen Weisen anzustimmen.
Und nun beginnt die Göttin zu tanzen! Leicht, zierlich, kokett ist ihr Tanz, dann wieder feurig, leidenschaftlich, verzweifelt wild; und abermals anmutig, schmeichelnd. Sie tanzen unaufhörlich, unermüdlich wohl eine Stunde lang.
Wir sind fassungslos, überwältigt von all der Schönheit. "Schauen Sie nur Katut an, flüstert Gründler mir zu, wie wundervoll sind seine Bewegungen! Ich sah ihn neulich tanzen im wachen Zustand (denn die Kinder tanzen jeden Abend, aber nur neunmal im Monat ist Sangian), da war alles bei ihm so hart und ungelenk, denn er hat erst kürzlich angefangen, tanzen zu lernen. Mir ist auch erzählt worden, daß Kinder Sangian tanzen, die noch niemals haben tanzen sehen. Beobachten Sie, wie beide Kinder ganz die gleichen Bewegungen ausführen, obgleich ihre Augen geschlossen sind!"
Plötzlich werden die Klänge des Gamelan schwächer, der Frauenchor beginnt zu verstummen. Da bleiben die Tänzer wie angewurzelt stehen, der Fächer entfällt ihrer Hand, und leblos sinken sie in die Arme der herzueilenden Mädchen. Doch die Pause währt nicht lange: der Chor beginnt eine neue Melodie anzustimmen, und alsbald kehrt auch das Leben bei den Kindern zurück. Sie tanzen weiter, die ganze Nacht hindurch. Tauerns Uhr zeigt auf 12.
Da naht sich ein langer Zug: Mädchen mit silbernen Schüsseln und Tellern. Das sind die Opfergaben, die sie vorhin vor dem Dewastuhl sahen, erklärt uns Gründler, "Jetzt wird der Tanz gleich enden." Wieder tritt eine Pause ein, und ein Trunk aus der Schale des geweihten Wassers belebt die Knaben so weit, daß sie die Augen halb aufschlagen, mit ausdruckslosem Blick. "Sehen Sie, jetzt tanzen die Kinder mit den Opfergaben." - "Und in den kleinen grünen Kokosnüssen, die ihnen die Frau nun in die Hand gibt, befindet sich das Weihwasser."
"Dewa aju! Dewa aju!" ertönt da plötzlich rings ein begehrendes Rufen aus der Menge, und wir sehen, wie die Kinder ihre Finger in das Weihwasser tauchen und im raschen Vorbeigehen die Köpfe der bittenden Menge damit benetzen! "Dewa aju" (Frau Göttin) ruft jetzt auch Gründler neben mir, und ich gewahre mit seltsamem Schauer, wie Kebüt sich mechanisch uns nähert, die Augen ausdruckslos auf uns gerichtet, die Züge starr; alle Kindliche ist aus seinem Gesicht gewichen, und unwillkürlich zucke ich nervös zusammen, wie auch mich der heilige Tropfen trifft, den die kleine Hand schleudert, mir ist, als müsse er glühend auf meiner Haut brennen, der ich hier neugierig sitze mit frechem ungläubigem Sinn. Ich erinnere mich des gleichen lähmenden Gefühls, als ich, bei der Konfirmation, den Kelch nahm.
Noch immer ungläubig- gläubig den Kopf gebeugt, bemerke ich, wie Gründler seine Hände zur Schale formt, und wie das Kind sie ihm mit dem duftenden Wasser füllt. Überall erblicke ich jetzt begehrend ausgestreckte Hände, sehe, wie die Leute von dem Wasser trinken und Gesicht und Haare damit netzen. Da rufe auch ich die Göttin, halblaut, zaghaft - ist es Neugier ? - und sie naht und füllt auch mir die Hände, und ich schlürfe das ambrosische Wasser, das sonderbar nach dem Duft der heiligen Melati schmeckt; mir ist, als stünde die Göttin wahrhaft vor mir, und ich wage die Augen nicht zu erheben.
Es ist das Wasser der Heiligung, der Reinigung von irdischen Makeln, das hier von unschuldigen Kinderhänden, ja von der allen im Tanze offenbar wordenen Göttin selbst gespendet wird. Wir haben im Christenkult nichts, was sich dem an eindringlicher Kraft messen könnte. Im Vergleich dazu verblaßt meinem Gefühl nach, auch die Weihe des Abendmahls.
Kommen Sie, das Fest ist zu Ende!" Es war Gründlers Stimme, die mich aus meinem befangenen Sinnen aufschreckte. Wirklich der Festplatz war leer, der Zug hatte sich in den kleinen Hof zurückbegeben, wo die Feier ihren Anfang genommen hatte. "Sie haben heute sehr zeitig aufgehört zu tanzen." ich entsinne mich eines Festes, wo der Gamelan durch das lange Wachen müde geworden, gegen 1 Uhr das Fest hatte abbrechen wollen; da begann eines der Kinder bitterlich zu weinen, und nach dem Grunde gefragt, antwortete es schluchzend, die Göttin begehre noch 2 Stunden zu tanzen; es half nichts, der Gamelan, der schon nach Hause gegangen war, mußte zurückgeholt und die Feier fortgesetzt werden."
Im Hofe kniet die Schar der Frauen wieder, wie ehedem, und es geschieht etwas, was mir von all den Erlebnissen dieses Abends am unverständlichsten erschien: um die Kinder, die jetzt wieder leblos im Arm der Frauen ruhen, aus ihrem hypnotischen Zustand in die Wirklichkeit zurückzurufen, findet derselbe Vorgang statt, der sie vordem suggerierte: wieder werden glimmende Weihrauchschalen vor ihnen aufgestellt, wieder stimmt der Frauenchor den Sangiangesang an, und allmählich aus den Schlaf sich emporrichtend, fangen die Kinder wieder an, langsam, dann schneller und schneller die kreisenden Bewegungen des Körpers auszuführen. Jetzt muß der entscheidende jähe Ruck erfolgen: Da, plötzlich erhebt sich der ein, wendet sich um und stürzt mit geschlossenen Augen unter den Chor. Alle flüchtet hastig beiseite - nur ein Mädchen von 12 Jahren bleibt wie gebannt sitzen, furchtbare Angst malt sich in seinen Zügen; und wie der vorwärts hastende Knabe es berührt, bricht es in lautes banges Weinen aus und tut einige Schritte, um dann, gleich dem Knaben, steif umzusinken.
"Was ist geschehen?" frage ich fassungslos den Alten, der sich wieder zu uns gesellt hat. Es hat sich alles mit so großer Schnelligkeit abgespielt, daß ich den Vorgang kaum habe folgen können. Der erklärt mir mit großer Nüchternheit, daß durch die Berührung die Göttin nun auch vom Körper des Mädchens Besitz genommen hätte. Keiner von den Baliern verrät Besorgnis oder Aufregung; als handle es sich um einen selbstverständlichen Vorgang, werden die drei schlafenden Kinder wieder vor dem Dewastuhl niedergelegt, der Sang und die Kreisbewegungen setzen von neuem ein, und schließlich erwacht, mit gewaltigem Ruck, ein Kind nach dem anderen. Ohne das geringste Anzeichen von Verwunderung oder Müdigkeit erheben sie sich und mischen sich im Hintergrund unter die anderen. Katut begrüßt nun mit seinen blanken verwunderten Augen und seinem Kinderlachen: tabek, tuan, sudah lama disimi? (Guten Abend, Herr, bist Du schon lange hier?). Er weiß nichts von alledem, was vorhin geschehen, nur daß die Göttin in ihm gewesen ist, und währenddessen seine Seele fern, fern geweilt hat.
Schweigend kehren wir heim: der Mond steht schon tief im Westen. Unter dem großen Waginibaum am Marktplatz reichen wir uns die Hände zum Abschied. --
(Ende des Briefes an die Schwester)

Boeleleng, 21. März 1911

Liebe Eltern!

Jetzt sind wir schon 7 Monate von Hause fort, und noch immer nicht in den Molukken. Das klingt sehr trostlos, und ist es auch für Deninger, der sein Arbeitsfeld nur auf den Molukken findet; für mich aber sind die 2 1/2 Monate, die wir bisher auf Bali verbracht haben, mindestens ebenso interessant und ergebnisreich gewesen, als sie in den Molukken hätten sein können.
Gestern abend sind wir (Tauern und ich; Deninger ist mit dem Motorboot vor 4 Wochen nach Soerabaia zur Werft gefahren) von einer vierzehntägigen Reise durch Südbali zurückgekehrt. Es war hauptsächlich eine ethnographische Studienreise, wir kamen von Volksfest zu Volksfest, unsere Aufnahmen werden Euch später einiges von der hiesigen Kunst und dem Volksleben zeigen können (wir haben gegen 40 Dutzend Aufnahmen gemacht). Ich habe Leute und Land sehr lieb gewonnen, fühle mich schon ganz heimisch unter den Inländern, und beneide fast einen deutschen Naturwissenschaftler, den wir in Südbali kennen lernten, welcher nun schon über 2 Jahre auf der Insel sich aufhält, Kunstgegenstände sammelt und für ihre Erhaltung sorgt und mit den Baliern wie ein Balier verkehrt.
Durch seine Hilfe gelang es uns, Volksfesten beizuwohnen, die kein Europäer gesehen hat, wie das Tanzen hypnotisierter Kinder nach uralten heiligen Melodien, die von einem Frauenchor oder Männerchor gesunden werden. Die Hypnose (Autosuggestion) spielt bei den religiösen Festen der Balier eine große Rolle.
Auch mit den zoologischen Resultaten bin ich zufrieden. Ich sammelte u.a. 95 Vogelarten in etwa 230 Exemplaren, bei weitem die vollständigste Balisammlung, die bis jetzt gemacht wurde. Falls Deninger morgen noch nicht zurückkehrt, werde ich noch nach Westbali fahren; es gibt dort noch viele Tiger, und ich will versuchen, einen zu schießen.
Gesundheitlich geht es mir ausgezeichnet, und bei dem guten Essen auf Bali bin ich ordentlich dick geworden. Von Malaria habe ich schon lange nichts mehr gemerkt.
Ich habe nun schon sehr lange keine Briefe mehr bekommen; sie sind wohl alle nach Amboina gegangen; der letzte Brief von Hause ist 22.11.10 datiert. Also bitte, alles nach Soerabaia, Deutsches Konsulat adressieren.
In der Hoffnung, daß es Euch allen ebenso gut geht wir mir, grüßt Euch tausendmal
Euer Erwin

Boeleleng, 1. April 1911

Liebe Eltern !

Gestern Abend bin ich von meiner achttägigen Tour nach Westbali zurückgekehrt. Ich wohnte während dieser Zeit in einer neuen Ansiedlung mitten im Urwald, einige unternehmende Buginesen, Leute von Celebes, sind dort beschäftigt, den Wald zu roden und Kokospalmen und Bananen zu pflanzen. Ich wohnte mit meinen Leuten in einem richtigen Celebes-Pfahlhaus, auf 4 etwa 3 m hohen Beinen; eine steile Leiter führt zur kleinen Tür fensterlosen Hütte; durch die aus Palmblättern geflochtenen Wände fällt genug Licht, um darin lesen und arbeiten zu können. Der Boden besteht aus einer von gespaltenen Bambus hergestellten Matte; die Abfälle läßt man ganz einfach durch die Spalten des Bodens fallen, wo sie von den ständig wartenden Hunden und Hühnern weiterbefördert werden. Die Wälder dort wimmeln von allerlei Getier, und meine Sammlung hat beträchtlichen Zuwachs erhalten. Die Bali-Vorgelsammlung umfaßt bisher 117 Arten in etwa 300 Exemplaren. Einen Tiger habe ich leider nicht erbeutet; ich habe vergeblich eine Nacht auf ihn angesessen, es wäre auch zu dunkel gewesen, um einen sicheren Schuß anzubringen und so mußte ich denn mit meiner Ziege betrübt wieder heimziehen und mich mit dem imposanten Anblick von Tigerfährten begnügen. Tauern war während dieser Zeit in Boeleleng geblieben, um weiteres photographisches Material zu sammeln.
Wo Deninger augenblicklich sich herumtreibt, weiß der Teufel. Wir erhielten ein Telegramm, daß er vor 8 Tagen von Soerabaja mit der Freiburg abgefahren sei. Vermutlich hat er wieder eine Motorpanne bekommen und saust mit den bekannten geschwellten Segeln auf dem Ozean herum. Aber Grund zur Ängstlichkeit liegt nicht vor. Wir kennen ja solche Situationen zur Genüge.
Mein Natrium-arsenicosum ist zur Hälfte verbraucht; ich bitte Vater um eine zweite Büchse von der Größe der ersten. Meine 4 Paar Molukken Stiefel sehen erbärmlich aus, die Sohlen sind nur noch in Spuren nachweisbar. Bitte schickt mir sofort meine schweren Bergstiefel und laßt mir ein zweites Paar anfertigen. Ich habe von Singapore aus bei Grundig 1000 Teschinpatronen 7 mm mit Schrot 12 bestellt, und die Sendung nach Ambon dirigieren lassen, bitte erkundigt Euch, ob sie abgegangen ist; andernfalls sorgt bitte für sofortige Sendung, und zwar wie alle übrigen Postsachen nach Soerabaja, Deutsches Konsulat.

Ich befinde mich äußerst wohl und grüße Euch alle tausendmal
Euer Erwin

Inzwischen war also die "Freiburg" wieder seetüchtig geworden, und mit vier Mann trat Deninger die Fahrt nach Bali an. Die schwächere Schraube bewährte sich sehr, aber nun arbeitete der Motor so stark, daß die Nähte des Bootes sich lockerten und das Schiff mitten in der Straße von Madura leck wurde. Es mußte daher der Motor abgestellt werden und nur mit großer Mühe gelang es, das Schiff über Wasser zu halten. So sahen wir uns denn wieder in unseren Hoffnungen getäuscht und die Freiburg mußte wieder nach Soerabaja zurück. Nun liegt sie dort in der Marinewerft und wird hoffentlich bald einen Käufer finden, denn wir konnten nicht mehr auf die Fertigstellung des Bootes warten.
So ist ein Unternehmen, auf das wir große Hoffnungen gesetzt hatten, gescheitert, und zwar, wie sich nun nachträglich herausgestellt hat, durch die liederliche Arbeit des Bootsbauers in Amsterdam. Ungenügende Versteifung und Vernietung, schlechte Fundierung des Motors, das sind die tieferen aller der Schäden gewesen, die uns unerhörte Mühe, Zeitverlust und Kosten verursacht haben. Das sind aber Dinge, die wir nicht erwarten konnten, da wir die Besorgung des Schiffes dem Soerabajaschen Maschinenhandel übertragen hatten. Der Bolinger Motor hat trotz allem sehr gut ausgehalten, wie wir überhaupt nur aufs Tiefste bedauern können, daß eine mangelhafte Ausführung uns unseres besten Hilfsmittels beraubt hat.

Ende der Leseprobe.

 

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